So manche Japanisch-Lernende schütteln den Kopf, wenn es um die vielen Floskeln geht, die Muttersprachler:innen benutzen, um Nein zu sagen. Statt direkt abzulehnen, wird lieber um den heißen Brei geredet oder ein stummes „Punkt Punkt Punkt“ verwendet, um den Teil mit der Absage nicht aussprechen zu müssen. Umgekehrt reagieren manche Einheimische auf direkte Absagen etwas sensibel, denn sie empfinden sie als Kritik oder Ablehnung gegenüber ihrer eigenen Person.
Das klassische Wort „Nein“, auf Japanisch iie, wird in zwischenmenschlichen Situationen möglichst vermieden. Es kann nämlich sehr direkt und unhöflich, gar unmenschlich, klingen, wenn falsch verwendet. Muttersprachlicher:innen tendieren dazu, gemäßigtere Ausdrücke zu benutzen.
Punkt Punkt Punkt…
Ein gutes Beispiel dafür ist sore wa chotto… Obwohl diese Phrase wörtlich „Das ist etwas…“ bedeutet, müssen Sie sich „unpassend“ oder „schwierig“ dazu denken, obwohl dieser sehr wichtige Teil der Absage nicht ausgesprochen wird. Das Wort chotto (etwas) schwächt die Aussage zusätzlich ab – gepaart mit einer vagen, leicht unglücklich klingenden Tonlage des Sprechers ist dessen wahre Absicht klar erkennbar. Meistens folgt ein entschuldigendes Wort wie sumimasen (eher förmlich) oder gomen (umgangssprachlich).
Hierbei wird natürlich das stillschweigende Verständnis vorausgesetzt, dass nicht weiter nachgehakt wird. Anderenfalls droht eine peinliche Situation, in der sich der oder die Gefragte rechtfertigen muss.
Das „u“ macht den Unterschied
Während die klassischen Wörter für „Ja“ (hai) und „Nein“ (iie) als recht förmlich gelten, wird oft die umgangssprachliche Version un (für Ja) und uun (für Nein) benutzt. Wie der Buchstabe „u“ hier ausgesprochen wird, ist entscheidend, ob man etwas bejaht oder verneint!
Nun ist es natürlich möglich, klare Absagen, etwa in Form von negativen Verben (wie im oberen Beispiel, ikanai = Negativform von iku), auszudrücken. Unter Freunden oder Familie wird dies seltener als Affront gewertet. Allerdings klingt diese Formulierung oft sehr sachlich und beinahe gefühlskalt, selbst wenn eine Begründung für die Absage folgt:
In diesem Falle hätte beispielsweise Gomen, shiken ga arunda („Tut mir leid, ich habe eine Prüfung.“) ausgereicht. Grundsätzlich ist es also besser, die Negativform zu vermeiden.
Ohne „Nein“ geht’s auch
Das Prinzip der „Vermeidung der Negativform“ ist gut im geschäftlichen Kontext, besonders aber im Kundenservice zu beobachten. Würde ein deutscher Verkäufer in einem edlen Kaufhaus auf die Frage, ob es Produkt XY gäbe, vielleicht knapp antworten: „Es tut mir leid, das Produkt ist leider ausverkauft“, heißt es beim japanischen wörtlich eher: „Entschuldigen Sie bitte vielmals. Die Bestellung der betreffenden Ware ist für unser bescheidenes Geschäft leider etwas…“. Ihnen wird möglicherweise auffallen, dass der inhaltlich wichtige Teil der Begründung mit immer leiser werdender Stimme gesagt wird…
Auch im (digitalen) Schriftverkehr werden gerne vage Formulierungen benutzt, um klare Absagen zu vermeiden. Ein Klassiker in der Firmenkommunikation lautet:
Eine solche Antwort bedeutet in der Regel so gut wie Nein. Schlimmstenfalls wird sich Firma B gar nicht mehr melden, weil sie eine eindeutige Absage Firma A gegenüber für zu unhöflich hält.
Wann kann ich „Nein“ sagen?
Wird das Wort iie überhaupt noch verwendet? Ja – allerdings fast nur, um einen Sachverhalt festzustellen:
Statt iie wird je nach Kontext „Nein“ auch mit anderen Begriffen ausgedrückt. Wenn der kleine Lukas den heißen Herd anfassen will, sagen die Eltern streng: „Nein, Lukas!“. Versucht die kleine Sakura dasselbe, sagen ihre japanischen Eltern: „Sakura, dame!“
Dame bedeutet zwar wörtlich „Nein“ (bzw. „Das geht nicht“/„Schlecht“), ist aber eher als Verbot von höherrangigen Personen (z. B. Eltern, Lehrer) an Untergebene (z. B. Kinder, Schüler) zu verstehen. Letztere können ihre Verweigerung gegenüber Höhergestellten nicht mit dame ausdrücken. Sie können höchstens iya sagen, was so gut wie „Ich will nicht!“ bedeutet – das ist allerdings extrem umgangssprachlich und sollte nicht im beruflichen Kontext genutzt werden.
Glauben Sie allerdings bitte nicht, dass Japanerinnen und Japaner sprachlich oder emotional nicht in der Lage seien, Nein zu sagen. Vieles spielt sich im zwischenmenschlichen Bereich ab und ruht im Bedürfnis, das Gegenüber (insbesondere Kunden oder Geschäftspartner) nicht zu düpieren. Wenn Sie etwas nicht möchten oder Ihnen etwas sehr unangenehm ist, ist eine klare Ablehnung nicht das Ende der Welt, sondern manchmal sogar unvermeidlich. Ein trauriges Beispiel dafür, welche Auswirkungen es haben kann, wenn die Sprachlosigkeit als unüberwindliches Hindernis im Weg steht, wird zum Beispiel im aktuellen Missbrauchsskandal um die Produktionsfirma Johnny & Associates deutlich.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in der JAPANDIGEST Oktober 2023-Ausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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