Die Verben „geben“ und „bekommen“ gehören in den Grundwortschatz jedes Sprachenlernenden. Im Japanischen muss man sich jedoch nicht nur die jeweilige Übersetzung der beiden Wörter merken. Denn je nach der Beziehung zwischen dem Gebenden und dem Empfangenden und der Perspektive des Sprechers, werden andere Wörter verwendet.
Jemandem etwas geben: ageru, kudasaru, kureru
Ageru 上げる (あげる) kommt vom altjapanischen Verb agu (上ぐ). Wie am Schriftzeichen 上 (oben) gleich zu erkennen ist, bedeutete es „etw. nach oben / an ein höheres Wesen geben“. Das Verb stellt den Empfänger höher als den Gebenden. Die noch höflichere Form des Verbs heißt sashiageru (さしあげる). Wenn man jedoch einem niedriger gestellten Wesen (jüngere Geschwister, unterstellte Personen, Haustiere und Pflanzen) etwas gibt, benutzt man das Verb yaru やる.
Das Verb ageru kann fast wie das Verb „geben“ benutzt werden. Eine Ausnahme bildet der Fall, dass jemand dem Sprecher bzw. der Gruppe, in der er sich befindet (z. B. Familie) etwas gibt. Hierfür gibt es im Japanischen spezifische Verben: kudasaru (くださる) und kureru (くれる).
Das Verb kudasaru (下さる) drückt aus, dass ein höheres Wesen dem Sprecher bzw. seiner Gruppe etwas (herunter) gibt. Dies ist am Schriftzeichen 下 (unten) zu erkennen. Die einfachere Version kureru bedeutet, dass eine gleichrangige Person dem Sprecher bzw. der Gruppe etwas gibt. Es kann, wie „X kureru?“, auch im Sinne von „Gib mir bitte X!“ verwendet werden, während der Imperativ „Kure!“ fast grob wie „Gib es her!“ klingen könnte. Als höfliche Aufforderung „Geben Sie mir bitte X!“ wird die vom Verb kudasaru abgeleitete Form kudasai benutzt. Dass man hier nicht „Watashi ni agete!“ („Gib es mir!“) sagen kann, versteht sich von selbst, weil sich der Sprecher mit ageru höherstellen würde als den Gesprächspartner.
Von jemandem etwas bekommen: itadaku, chōdai suru, morau
Für oben genanntes Beispiel einer Bitte, etwas zu erhalten, wird in vertrauter Konversation oft der Ausdruck „Chōdai!“ verwendet. Allerdings heißt chōdai wörtlich, etwas (von oben) auf den Kopf zu erhalten, und chōdai suru (ちょうだいする) drückt daher die Bescheidenheit des Sprechers aus, etwas von einer höher gestellten Person zu bekommen, und ist in diesem Zusammenhang mit itadaku (いただく) vergleichbar. Das Verb morau (もらう) ist eine einfache Form für „bekommen“. Diese drei Formen können nur verwendet werden, wenn der Sprecher das Subjekt ist.
Phrasen kombinieren für authentisch japanische Ausdrucksweisen
Richtig kompliziert werden alle diese Verben erst, wenn sie in Kombination mit anderen Verben benutzt werden. Die Japaner scheinen nämlich ständig darauf hinweisen zu müssen, wem sie den Empfang einer Sache zu verdanken haben.
Ein Beispiel: „Mein Vater hat mir ein Fahrrad gekauft“. Die Übersetzung „Watashi no chichi ga watashi ni jitensha o kaimashita.“ mag grammatisch richtig sein, aber sie klingt in japanischen Ohren kalt, emotionslos und seltsam. Hier muss der Ausdruck „…te kureru“ zugefügt werden, um den Wohltäter sichtbar zu machen. Außerdem soll „watashi“ (ich) vermieden werden. Der obige Satz sollte demnach „Chichi ga jitensha o katte kuremashita.“ (Mein Vater hat mir freundlicherweise ein Fahrrad gekauft.) heißen.
Merke: Bei Übersetzung von „…te kureru“ sollten „mir“ bzw. „für mich“ und „freundlicherweise“ zugefügt werden.
Ein weiteres Beispiel: Der Satz „Ein Freund brachte mir Japanisch bei.“ lautet demnach nicht etwa „Tomodachi ga watashi ni nihongo o oshiemashita“, sondern „Tomodachi ga nihongo o oshiete kuremashita.“ Die erste Übersetzung würde in japanischen Ohren klingen, als ob der Sprecher gar nicht Japanisch lernen wollte, aber dazu gezwungen wurde. Erst der Zusatz von „…te kureru“ macht das Wohltäter-Nutznießer-Verhältnis sichtbar und kann dadurch die Dankbarkeit des Sprechers dem Wohltäter gegenüber zum Ausdruck bringen.
Der Satz „Tomodachi ni nihongo o oshiete moraimashita.“ beschreibt dieselbe Konstellation, allerdings ging die Initiative vom Sprecher aus. Die Übersetzung heißt daher „Ich habe einen Freund gebeten, mir Japanisch beizubringen.“
Bei der Formulierung „…te agemasu“ ist jedoch Vorsicht geboten, denn sie könnte arrogant klingen. Der Satz „Ich schenke es dir“ kann natürlich wörtlich als „Watashi ga anata ni kore o agemasu“ übersetzt werden. Aber: Sie klingt überheblich. In diesem Fall wäre der Ausdruck „Kore o moratte kuremasu ka?“ (wörtliche Übersetzung: „Kannst du es in meinem Interesse annehmen?“) vorzuziehen, der den Beschenkten von einer vermeintlichen Dankespflicht befreit.
Der Ausdruck „…te kuremasen ka“, welcher in manchen Lehrbüchern schon am Anfang als eine Phrase für höfliche Bitten eingeführt wird, ist vor dem oben genannten Hintergrund entstanden.
Tipps für Japanisch-Lernende
Wenn Sie mit Japanern sprechen, versuchen Sie in Ihrem Gespräch, „…te kureru“ einzubauen und so Personalpronomen zu vermeiden. Ihre Sätze klingen dann garantiert echt japanisch!
korrekt, aber nicht schön | richtig | |
Danke, dass du mir geholfen hast! | Anata ga watashi o tetsudatte, arigatō. | Tetsudatte kurete, arigatō. |
Kannst du mir bitte dieses Kanji vorlesen? | Anata wa watashi no tame ni kono kanji o yomimasu ka? | Kono kanji o yonde kuremasen ka? |
Warte auf mich! | Watashi o matte kudasai. | Matte kuremasu ka? |
Frau Tanaka hat mir Sushi zubereitet. | Tanaka-san ga watashi no tame ni Sushi o tsukurimashita. | Tanaka-san ga Sushi o tsukutte kuremashita. |
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