Der niederländische Journalist Gaston Dorren beschrieb in seinem Buch „Lingo“ 60 europäische Sprachen und fand in jeder mindestens ein Wort, welches kein Pendant im Englischen besaß, und erklärte es auf Englisch. Es gibt nämlich kein unübersetzbares Wort, sondern nur ein solches, das erläutert werden muss, um in einer völlig anderen Fremdsprache verstanden zu werden. Doch welche japanischen Wörter können nicht auf Anhieb ins Deutsche übertragen werden? Das sind beispielsweise Wörter, die typisch japanische Naturlandschaften beschreiben, die in anderen Ländern so nicht vorkommen.
Wörter, die Naturlandschaften beschreiben
Jedes Frühjahr wird im japanischen Fernsehen oder in der Zeitung täglich die sogenannte sakurazensen (Kirschblütenfront) gezeigt. Das sind Linien, die wie Isobaren einer Wetterkarte aussehen und den Blütenstand der Kirschbäume in verschiedenen Regionen anzeigen. Mit Hilfe solcher Kirschblütenkarten können die Japaner den Termin für ihr hanami (Kirschblütenschau) festlegen. Wenn die Kirschblüte anfängt, ihre Blüten zu verlieren, dann erlebt man sakurafubuki (Kirschblüten(-Schnee)sturm). Hunderte oder Tausende von Kirschbäumen gleicher Sorte, meistens somei yoshino (prunus yedoensis), verlieren gleichzeitig ihre kleinen rosa-weißen Blüten, die wie Schneeflocken in der Luft wirbeln und schließlich die Straßen weiß bedecken. Solche Szenen sind kaum vorstellbar, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.
Im Hochsommer hört man überall semishigure (lautes Singen vieler Zikaden, das sich wie starkes Regenplätschern anhört). Wenn ein abendlicher Regenschauer (yūdachi) die Umgebung abgekühlt hat, konnte man im alten Japan yūsuzumi – die abendliche Abkühlung am Fluss oder im Garten – genießen. Dies ist heutzutage jedoch in der Großstadt Tōkyō wegen des sogenannten „Urban Heat Island“-Effektes nicht mehr möglich. Ein beliebtes Vergnügen im Herbst war und ist immer noch momijigari – die Jagd nach der Herbstfärbung der Bäume. Im Oktober und November werden in vielen Orten Japans die Gärten und Tempel mit schönen Ahorn- und Gingkobäumen nachts für Besucher geöffnet und die Bäume farbenfroh angestrahlt.
Adjektive, die die japanische Gefühlswelt darstellen
Natsukashii
Natsukashii wird meistens mit „Sehnsucht nach Heimat oder einer geliebten Person“ übersetzt, was an sich nicht falsch ist, doch man muss klar zwischen dem ähnlichen Adjektiv koishii unterscheiden. Koishii beinhaltet ein sehr viel stärkeres Gefühl der Sehnsucht, das man fast schon als absolutes Verlangen beschreiben könnte.
Ijirashii / kenage
Laut des Sprachwissenschaftlers Araki Hiroyuki loben diese Adjektive unter gleichen Voraussetzungen die Handlung einer Person, werden jedoch situationsabhängig verwendet. Das Subjekt muss folgende Eigenschaften aufweisen:
- klein, schwach und/oder jung
- geduldig/leidend
- in schwieriger Situation/arm
- fleißig
lobend | mitleiderregend |
Ano hito ha kenage da. Diese Person ist lobenswert, weil sie (trotz ihrer schwierigen Situation) hart arbeitet. | Ano hito ha ijirashii. Diese Person arbeitet so hart (doch nur mit wenig Erfolg), dass ich Mitleid habe. |
Beide Wörter werden nicht für Personen verwendet, die Potenzial zum Erfolg haben: z.B. ein Sumo-Ringer, der einen besonders starken Gegner hat oder eine reiche Dame, die ihr Gepäck nicht allein tragen, aber jemanden dafür bezahlen kann.
Wörter, die einfach zur lustigen Lebensart der Japaner gehören
Nekobanban
Dies ist eine seit 2015 existierende Tierschutz-Kampagne des Autoherstellers Nissan. Bevor man ins Auto einsteigt, soll man laut auf die Motorhaube klopfen, um Katzen, die evtl. unter oder auf dem Auto liegen, zu verscheuchen. Hintergrund dessen ist, dass es in Japan noch viele Streuner und Freigänger-Katzen gibt.
Boke to tsukkomi
Boke to tsukkomi ist eine Methode der Stand-up-Comedy, die von zwei Darstellern gespielt wird. Der eine spielt die Rolle des boke, der dumme, aber lustige Bemerkungen macht. Sein Partner reagiert darauf als tsukkomi und greift die Widersprüche oder Fehler vom boke auf, um damit das Publikum auf die Pointen der Aussagen aufmerksam zu machen.
Diese Art des Humors gehört zur Alltagskommunikation von Japanern aus der westlichen Kansai-Region, was in der Kantō-Region nicht der Fall ist. Miyato Miki aus Hyōgo war als Studentin sehr irritiert darüber, als niemand an ihrer Tōkyōter Frauenuniversität auf ihren boke-Witz als tsukkomi reagierte und daran ihr humorvoller Kommunikationsversuch scheiterte. Daraufhin schrieb sie ihre Abschlussarbeit über den unterschiedlichen Humor zwischen Kansai und Kantō.
Wörter, die die traditionelle japanische Gesellschaft widerspiegeln
Im Alltag findet man auch Wörter, die mit der Tradition verbunden sind, wie z.B. senpai und kōhai, die nur schwer ins Deutsche zu übertragen sind. Inzwischen scheint es, dass diese, zumindest unter jüngeren Deutschsprachigen, so im Original verstanden werden. Der senpai, der vor seinem kōhai in die Schule bzw. in den Arbeitsplatz eingetreten und nach dem Senioritätsprinzip automatisch höhergestellt ist, wird von diesem mit Respekt, z.B. durch Siezen, behandelt. Dafür ist der senpai verpflichtet, sich um den kōhai zu kümmern, z.B. durch seine Unterstützung.
Höfliche Floskeln gehören zur Tradition und sind schwer zu übersetzen. Yoroshiku onegaishimasu besagt wörtlich „Seien Sie bitte gütig zu mir“, aber es wird meistens mit „Es freut mich, Sie kennenzulernen“ übersetzt. Die Floskel itsumo osewa ni natte imasu heißt wörtlich, dass man ständig in der Obhut des Gesprächspartners steht, aber bedeutet eigentlich nur „Ich bin Ihrer guten Zusammenarbeit zum Dank verpflichtet“.
Welche schwer oder gar unmöglich zu übersetzenden Wörter gibt es im Deutschen?
Dieser Artikel erschien in der April-Ausgabe des JAPANDIGEST 2020 und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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