Generationskonflikte gibt es überall in der Welt. Die verschiedenen Generationen vertreten ihre eigenen Ansichten, die von den Anderen nicht verstanden bzw. akzeptiert werden. Aber in Japan scheitert man schon vorher an sprachlicher Verständigung. Denn die alten und jungen Japaner können nicht mehr richtig miteinander kommunizieren.
Alles wird verkürzt
In Japan neigt man stark dazu, lange Wörter zu verkürzen – meist auf zwei Moren. Der Linguist Kubozono Haruo weist darauf hin, dass es bereits vor 1000 Jahren verkürzte Wörter gab und dass wir sie heute noch benutzen, wie z.B., omutsu statt mutsuki (Windel) oder oden statt dengaku (gebratener oder gekochter Tōfu). In den letzten Jahrzehnten beschleunigte sich diese Tendenz jedoch so sehr, dass die älteren Generationen nicht mehr Schritt halten können.
Beispiel
Enkel: Dejikame kaitai na!
Ich möchte mir eine Digitalkamera kaufen.
Großvater: Esa wa nani?
Was frisst sie denn? (Er hält deji-kame für eine Art Schildkröte (ja. kame) und fragt, was diese deji-Schildkröte fressen würde.)
Die Digitalkamera, die auf Japanisch eigentlich dejitarukamera heißt, wird mit deji-kame abgekürzt. Der Großvater, der sich mit elektronischen Sachen nicht auskennt, hält sie jedoch für eine Art von kame (Schildkröte). Auch kaitai (ich möchte kaufen) ist nicht eindeutig zu verstehen. Schließlich gibt es zwei Verben kau, nämlich 買う(kaufen) und 飼う ((ein Tier) halten). Diese lassen sich zwar in den Infinitiv- und masu-Formen durch eine unterschiedliche Akzentsetzung unterscheiden, aber sie werden in der tai-Form gleich ausgesprochen. Der Großvater versteht daher nicht, dass es sich um kaufen handelt und denkt, dass sein Enkel eine Schildkröte halten möchte.
Verkürzte Verben und Adjektive
Können Sie, liebe Leser, gleich erahnen, was diese verkürzten Verben bedeuten?
Verkürzte Form | Orginalverb | Übersetzung |
taku-ru (takushiī = Taxi) | takushī ni noru | mit dem Taxi fahren |
koku-ru (kokuhaku = Geständnis) | kokuhaku suru | Freund/Freundin (Liebe) erklären |
tero-ru (Terror) | tero kōi o okonau | terroristische Taten begehen |
jiko-ru (jiko = Unfall) | jiko o okosu | einen Unfall bauen |
disu-ru (vom englischen disrespect) | yayu suru | Jemanden verspotten |
Dasselbe geschieht mit Adjektiven.
Verkürzte Form | Originaladjektiv | Übersetzung |
kimo-i | kimochi warui | ekelhaft |
ero-i | erochikkuna | erotisch |
emo-i | kanjōafureru | emotional/gefühlsvoll |
Verschiebung der Bedeutung von Wörtern
Manchmal verschiebt sich die Bedeutung einzelner Wörter mit der Zeit. Das krasseste Beispiel muss das Wort yabai sein. Es bedeutete früher „gefährlich“ bzw. „unpassend“. Ungefähr seit der Jahrhundertwende wird es jedoch in einem positiven Sinne verwendet und bedeutet heute „außerordentlich/unglaublich (gut)“. Die Schriftstellerin Sazaki Ryo meint, dass es solch eine Verschiebung der Bedeutung immer gegeben hat, und vergleicht yabai mit dem altjapanischen Adjektiv yuyushi. Yuyushi bedeutete „Unglück bringend“ und wurde wie yuyushiu utsukushi (so schön, dass man fast sterben könnte) benutzt. In diesem Sinne interpretiert sie yabai, dass etwas so wundervoll ist, dass man daran sein Herz verlieren könnte, was sehr gefährlich ist.
Ein anderes Beispiel wäre kodawari, welches früher „kleinlich“ bzw. „penetrant“ bedeutete, aber heute etwa das Gegenteil von Halbherzigkeit meint. Unter kodawari no shina versteht man somit ein Produkt, dessen Qualität man bis zur Machbarkeitsgrenze verbesserte.
Umgekehrt geht es mit dem Wort iikagen „angemessen“ bzw. „gut dosiert“. Heute wird darunter „halbherzig/egal/unbedeutend“ verstanden.
Verdrehte Wörter
Manche Wörter werden verdreht und als Geheimsprache in bestimmten Gruppen benutzt: z.B. dafu statt fuda (illegaler Verkauf teurer Eintrittskarten), shobadai statt bashodai (Platzgebühr, Schutzgelder für yakuza) im kriminalpolizeilichen Bereich sowie auch zūja statt Jazz und jāmane statt Manager in der Musikszene. Vor ca. zehn Jahren wurde das Wort maiu statt umai (lecker) aus dem Gastronomie-Bereich bekannt, weil es in einer beliebten Gourmet-Sendung benutzt wurde.
Unter den Dragon Ball Fans ist wohl bekannt, dass die Namen der Saiyas aus yasai (Gemüse) stammen: Gine statt negi (Porreegemüse), Seripa statt paseri (japanisches Wort für Petersilien) und Tares statt retasu (japanisches Wort für Eisbergsalat).
Folgender Begriff ist zwar nicht verdreht, kann aber für Deutschsprachige interessant sein: C-man steht für 10.000 Yen in geheimer Geschäftssprache. 10.000 heißt auf Japanisch 1 (ichi)-man, und der erste Ton der Tonleiter ist C, welches deutsch ausgesprochen wird.
Diese Wörter grenzen eine bestimmte Insidergruppe von den Anderen ab und geben ihnen eine Art Wir-Gefühl bzw. das Selbtwertgefühl, dazuzugehören. Wer dies nicht kennt, vor allem ältere Generationen, wird dadurch ausgegrenzt.
Neuer Wortschatz
Mit der Zeit ändert sich auch die Alltagssprache. Ein gutes Beispiel ist yorugohan, Abendessen auf Japanisch. Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hieß die am Abend eingenommene Mahlzeit yugohan, als japanische Angestellte (salaryman) noch relativ früh, also am yūgata (früher Abend), nach Hause kamen. Während der Zeit des Wirtschaftsbooms, als es immer mehr zangyō (Überstunden) gab und die salarymen erst spät in der Dunkelheit, also am ban (Abend), nach Hause kamen, hieß die Mahlzeit bangohan. Da die jetzt gängigen Japanischlehrbücher meist aus dieser Zeit stammen, lehren sie diese Vokabel. Jüngere Japaner benutzen diese nicht mehr im Alltag. Wie ich durch Gespräche mit mehreren Japanern feststellen konnte, liegt die Grenze zwischen den bangohan– und yorugohan-Benutzern um Mitte Dreißig.
Sie können zum Spaß mit yorugohan Ihre japanischen Bekannten testen, ob sie zur jüngeren oder älteren Generation gehören.
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