Wenn man vom Norddeutschland nach Süden reist, hört man im Zug etwa ab Frankfurt am Main immer weniger jene markanten klaren, konsonantischen Klänge des Norddeutschen, sondern mehr die weichen, vokalischen Klänge des Süddeutschen. Etwas Ähnliches ist auch in Japan zu spüren, wenn man mit dem Shinkansen von Tōkyō kommend in Ōsaka ankommt. Der Klangunterschied ist jedoch hier viel gravierender: In Ōsaka wird es nämlich deutlich lauter. Überall wird viel mehr gesprochen als im stillen Tōkyō. Weiche, lang gezogene, melodische und vokalische Klänge des Kansai-Dialekts dominieren in der Menschenmenge der Metropole Ōsaka.
Kansai (oder auch Kinki) ist eine Region in Westjapan, die die Präfekturen Ōsaka, Kyōto, Hyōgo, Nara, Wakayama und Shiga umfasst. Dort herrscht der sogenannte Kansai-Dialekt vor. In der folgenden Tabelle finden Sie ein paar typische japanische Ausdrücke, die im Kansai-Dialekt jedoch völlig anders ausgesprochen werden als im sogenannten Kantō-Dialekt, der allgemeinhin als das “Standard-Japanisch” gilt. Kantō ist die Region rund um die Präfektur und Hauptstadt Tōkyō, einschließlich der umliegenden Präfekuren Chiba, Saitama, Kanagawa, Gunma, Tochigi und Ibaraki.
Warum klingt der Kansai-Dialekt weicher?
Grund 1: Der Kansai-Dialekt verwendet grundsätzlich weniger Konsonanten.
In Klammern steht die Anzahl der Konsonanten, wobei der Laut “n” im Japanischen quasi als Silbe sowie “ch” als ein Konsonant zählt.
Kantō-Dialekt | Kansai-Dialekt | Deutsche Übersetzung |
Naze desu ka. (5) | Nande yanen. (4) | Warum? |
Dame desu. (4) | Akan. (1) | Nein, das geht nicht. |
Hontō desu ka. (4) | Honma? (2) | Ist das wahr? / Stimmt das? |
Chigaimasu. (4) | Chau. (1) | Das stimmt nicht. /Das ist falsch. |
Mondai arimasen. (5) | Kamahen. (3) | Kein Problem. |
Grund 2: Vokale eines einsilbigen Wortes werden beim Sprechen oft langgezogen.
Kantō-Dialekt | Kansai-Dialekt | Deutsche Übersetzung |
Ki wo tsukete! | Kii tsukete! | Pass (auf dich) auf! |
Ha ga itai. | Haa ga itai. | Ich habe Zahnschmerzen. |
Chi ga deta. | Chii ga deta. | Es blutet. |
Te wo kashite. | Tee kashite. | Hilf mir mal. |
Diese Kansai-Klänge werden ferner durch ihre intonierten Akzente noch verstärkt.
Warum klingt der Kansai-Dialekt lauter?
Manche Leute weisen auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Vokalisation des Englischen und der des Ōsaka-Dialekts hin. Im Ōsaka-Dialekt öffnet man die Kehle fest und nutzt den Atemfluss, um auf einmal auszuatmen. Dadurch entsteht eine dynamische “Stimme”, die es viel einfacher macht, Kehlkopfresonanz zu erzeugen – genauso wie im Englischen. Das Standard-Japanisch hingegen eine flache Vokalisierungssprache, bei der der Atem auf die Stirn oder die Nasenspitze gerichtet ist.
Hinzu kommt die Tatsache, dass das Standard-Japanisch gewissermaßen eine künstliche Sprache ist, die ab 1890ern vom Kultusministerium für den schulischen Gebrauch konzipiert wurde, um eine gemeinsame Standardsprache für das ganze Land zu schaffen. Sie hat sich also nicht etwa vom Alltagsleben der Einheimischen entwickelt, sondern ist praktisch ein “Baum ohne Wurzeln” (also eine Sprache ohne Bezug zum Umfeld).
Diesbezüglich stieß ich auf das Buch “Jiheishō wa Tsugaruben wo hanasanai” (“Autisten sprechen kein Tsugaru-Dialekt”) von Matsumoto Toshiharu. Der Autor und seine Frau, beide Psychologen, stellten fest, dass sehr viele autistische Kinder nicht den Dialekt ihres Umfeldes, sondern nur das Standard-Japanisch sprechen. Sie fanden heraus, dass diese Kinder ihre Sprache aufgrund mangelnder Kommunikationsfähigkeit nicht etwa durch den Umgang mit ihren Mitmenschen, sondern durch Filme, Fernsehen oder durch das Nachahmen von Zeichentrickfiguren angeeignet haben. Später wurde festgestellt, dass die autistischen Kinder erst dann anfangen, ihren heimischen Dialekt zu sprechen, wenn sie sich bessere Kommunikationsfähigkeiten angeeignet haben.
Dialekt-Verlust durch Umzug
Viele Menschen, die aus Provinzen, sei es aus der Kansai-Region oder anderen abgelegeneren Teilen Japans, nach Tōkyō ziehen, haben oft keinen Bezug zu ihrem neuen Umfeld oder haben keine Freunde oder Familie, mit denen sie in ihrem Heimat-Dialekt sprechen können. Um keine Kommunikationsprobleme zu vermeiden, oder auch einfach um sich in der neuen Stadt besser einzufügen, sprechen viele freiwillig oder gezwungenermaßen das Standard-Japanisch. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, dass der Kanto-Dialekt keine so große Emotion und Intensität wie der Kansai-Dialekt hervorruft.
Aber hören Sie am besten selbst: Achten Sie bei Ihrer nächsten Reise nach Tōkyō und nach Ōsaka darauf, ob Ihnen die unterschiedlichen Dialekte und Klänge auffallen!
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