In Japan hängt manchmal eine Holztafel mit der Aufschrift 商い中 (akinaichū) vor traditionellen Geschäften. 商い (akinai) bedeutet „Handel“ und 中 (chū) zeigt, dass etwas „im Gange“ ist. Die Aufschrift 工事中 (kōjichū) weist beispielsweise darauf hin, dass gerade gebaut wird, und dient auch als Warnhinweis auf Baustellen. Die Aufschrift auf der Holztafel zeigt dementsprechend, dass „gerade Handel betrieben“ wird, also der Laden geöffnet ist.
Können Sie sich denken, was die Aufschrift 春夏冬中 bedeutet? Hat sie etwas mit den Jahreszeiten zu tun? Die Lösung finden Sie am Ende des Artikels.
Mai-Krankheit
五月病 (gogatsubyō) kann wörtlich als „Mai-Krankheit“ übersetzt werden. Welche Krankheit soll ausgerechnet im Wonnemonat Mai auftreten? Dafür gibt es eine plausible Erklärung:
In Japan beginnt das Fiskaljahr im April, d. h. alle Schulen und Geschäfte beginnen ihren Betrieb in diesem Monat. Jeder Schulwechsel, Auszug aus dem Elternhaus, Berufseintritt usw. beeinflusst bzw. beeinträchtigt die betreffenden Menschen körperlich und seelisch. Manche empfinden nach dem Eintritt in eine neue Lebensphase Stresssymptome wie Kopfschmerzen, labile Psyche oder Depression. Die Tatsache, dass alle Berufsanfänger:innen in Japan im April anfangen, verschlimmert dieses Phänomen scheinbar. Diese Stresskrankheiten werden unter dem Oberbegriff gogatsubyō zusammengefast.
Regenzeit
Das Wort urusai („lästig“) kann 五月蠅い geschrieben werden, was wörtlich „Fliege im Monat Mai“ besagt. Wie ergibt sich dieses Bild? Der Monat Mai entspricht nach dem alten Mondkalender dem heutigen Monat Juni, in dem die Regenzeit in Japan beginnt. Es wird feucht und schwül, woraufhin Fliegen in Massen auftauchen und die Menschen belästigen. Heutzutage ist diese Schreibweise eher ungewöhnlich und findet sich hauptsächlich im literarischen Kontext.
Der Ausdruck 五月晴れ (satsukibare), wörtlich „Klarer Tag im Mai“, bezeichnet entsprechend „ungewöhnlich heiteres Wetter während der Regenzeit“. Der unablässige Regen in diesem Zeitraum wird samidare genannt. Dieser wird aus dem oben genannten Grund nicht etwa 六月雨 („Regen im Juni“), sondern 五月雨 („Regen im Mai“) geschrieben.
Kalendertage
Auch Kalendertage haben teils ungewöhnliche Lesungen. Der 1. August beispielsweise kann auch 八朔 (hassaku) gelesen werden, wobei 八 „acht“ und 朔 „der Erste“ bedeutet. An diesem Tag wurde früher ein Erntedankfest abgehalten oder Geschenke ausgetauscht, da der 1. August des Mondkalenders etwa dem heutigen Septemberanfang entspricht, wenn Japan oft von Taifunen heimgesucht wird und die Ernte gefährdet ist. Der 1. September wiederum wird 二百十日 (nihyakutōka) genannt (der 210. Tag nach dem Frühlingsbeginn am 3. Februar). An diesem Tag findet zwar kein Erntedankfest mehr statt, aber es werden diverse Sicherheitsvorkehrungen gegen kommende Taifune getroffen.
Der 7. Mai (五月七日) hat die wohlklingende Lesung tsuyuri und liegt nach dem heutigen Kalender Mitte Juni, zu Beginn der Regenzeit (auf Japanisch eigentlich 梅雨入り, tsuyuiri), was später zu tsuyuri wurde. Der gleichlautende Familienname kann auch 栗花落 (bestehend aus den Zeichen für „Marone“, „Blume“ und „fallen“) geschrieben werden, was zusammen „die Zeit, in welcher die Blüten der Maronenbäume fallen“ ergibt.
Lösung des Rätsels
Kommen wir noch einmal auf das Rätsel um die Aufschrift 春夏冬中 vom Anfang zurück: Die vier Jahreszeiten heißen auf Japanisch 春夏秋冬 (haru, natsu, aki, fuyu). Nun vergleichen Sie 春夏秋冬 und 春夏冬中. Was fällt Ihnen dabei auf? Bei Letzteren fehlt das Schriftzeichen 秋, aki, der Herbst.
Genau – der Herbst fehlt, was auf Japanisch aki nai heißt. Akinai (商い) bedeutet auch „Handel“, wie Sie am Anfang dieses Textes gelernt haben. Somit kommen wir auf die Lösung: 春夏冬中 akinai chū = 商い中 akinai chū = „Laden geöffnet“.
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