Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Die Eigenheiten der japanischen Zählwörter

Aya Puster
Aya Puster

Die japanischen Zählwörter gehören zu den verwirrendsten Aspekten der japanischen Sprache. Glaubt man ein System zu erkennen, werden doch plötzlich andere Regeln angewendet. Da heißt es pauken, pauken, pauken! Diese Übersicht beleuchtet die japanischen Zahlwörter.

illustrationen zu japanischen zählwörtern

Fragt man auf einem deutschen Wochenmarkt nach zwei Äpfeln und zwei Bananen, bekommt man für gewöhnlich das gewünschte Obst überreicht. Auf einem japanischen Markt reicht die Zahl ni ニ (zwei) allerdings nicht aus, um die Menge der gewünschten Artikel auszudrücken. Hier müssen die Zählwörter ko (個) bzw. hon (本) jeweils hinter ringo (Apfel) und banana (Banane) angefügt werden, um mitzuteilen, welche Menge Sie von der angefragten Obstsorte gern hätten. Ja, Sie lesen richtig: In Japan werden Äpfel anders als Bananen gezählt. Jedem Gegenstand
wird so ein Zählwort zugewiesen, das von dessen spezifischen Eigenschaften abhängt. Von diesen Zählwörtern gibt es etwa 400 Stück. Das klingt zunächst sehr verwirrend und ist es auch, aber beginnen wir am Anfang.

Wie werden japanische Zählwörter verwendet?

Das Zählwort dai (台), das für Gegenstände wie Telefone, Autos, TVs, Kühlschranke, PCs o.ä. verwendet wird, erscheint erst mal plausibel und leicht verständlich. So haben diese Dinge doch die Gemeinsamkeit, technische Geräte zu sein. Mit Zählwörtern wie ko (für handgroße Objekte), hon (für längliche, schlanke Objekte) und mai (枚) (für flache Objekte), die Japanischlernende bereits in der Grundstufe lernen, beginnen hingegen die Verwirrungen:

Die Einteilung in die jeweiligen Kategorien ko, hon und mai scheint fast jeglicher Vernunft zu entbehren. Die flache Dose von Ölsardinen z.B. soll mit ko gezählt werden, während die längliche Getränkedose das Zählwort hon bedingt. Die Einteilung hängt jedoch nicht, wie vermutet, von der Form ab. Eine Dose Spargel wird mit ko gezählt, weil sie feste Körper enthält, wobei die herausgenommenen, einzelnen Spargel wieder mit hon gezählt würden. Hon wird nur bei Dosen, die Flüssigkeit enthalten, verwendet. In diesem Fall ist also der Inhalt der Dose entscheidend. Andererseits werden unterschiedliche Materialien wie Keramik, Stoff und Papier allesamt in die Kategorie der fla­chen Dinge eingeordnet.

Für noch mehr Konfusion sorgt die Tatsache, dass ein so zu­gewiesenes Zählwort seinen Gegenstand nicht fortwährend beschreibt. Sobald dieser seine Eigenschaften oder die Funk­tion ändert, wird ihm ein anderes, geeigneteres Zählwort zugewiesen. Papier nimmt daher je nach Verwendungszweck und Form ein ande­res Zählwort an: mai für ein unbeschriebenes Blatt, tsū für einen geschrieben Brief, satsu für gebundene Bücher und bu für Zeitungen oder Zeitschriften.

Eine Pizza gehört als flaches Objekt zur Kate­gorie mai, solange sie als Ganze existiert. Wird sie geschnitten, zählt man das Pizzastück mit kire (切れ). Gleicherma­ßen wird ein Stück Kuchen mit kire gezählt, der ganze (runde) Kuchen allerdings mit dai (genau wie technische Geräte).

Welche Zählwörter verwendet man für Tiere?

Die Zählwörter für Tiere hängen oft von deren Größe ab. Ist das Tier kleiner als ein Mensch, wird es mit hiki (匹) gezählt. Größere Tiere wie Elefanten, Pferde oder Wale hingegen wer­den mit einem (頭) versehen. Schafe, Ziegen und Schweine liegen genau dazwischen und werden sowohl mit hiki als auch mit gezählt. Entgegen der Intuition wird für Dinosaurier jedoch hiki benutzt, auch wenn größere Arten mit gezählt werden können. Der Grund hierfür ist die niedere Evolutionsstufe der Reptilien im Vergleich zu den Säugetieren. Dagegen gelten ausgebildete Hunde wie Polizei-, Rettungs- und Blinden­hunde als „groß“ und sind mit zu zählen. Ein Haustier als Familienmitglied kann auch mal mit nin (人), also dem Zählwort für Menschen, gezählt werden. Das gilt übrigens auch für Androiden, die ursprünglich als Maschine mit dai bestimmt wurden.

Vögel sind in der Regel zwar klein, gehören aber nicht zu den Kleintieren der japanischen Zählwörterwelt, da sie Flügel haben. Sie wer­den daher mit dem Zählwort wa (羽, Flügel) gezählt. Seltene Exemplare oder große Vögel wie der Strauß werden wiederum als Großtiere betrachtet und bekommen das Zählsuffix . Fliegende Insekten hingegen werden nicht mit wa gezählt, son­dern fallen in die Kategorie hiki. Fledermäuse können sowohl mit hiki gezählt als auch in die Kategorie der Vögel wa eingeordnet werden.

Bei den Ammoniten verhält es sich ähnlich wie beim eingangs erwähnten Papier: Der Formzustand bestimmt das Zählwort. Sind sie ein Museumsstück, wird das Zählwort ten 点 für Ausstellungsobjekte verwendet, obwohl sie zu ihren Lebzeiten mit hiki und später als Fossil im Stein mit ko gezählt worden wären.


Quiz

Welches Zählwort passt zu den folgenden Gegenständen? Manche haben mehr als eines! Die Lösung gibt es unter dem Artikel.

a) mai b) hon c) hiki d) dai e) ko

1. Tintenfisch 2. Schnittblume 3. Tomate 4. CD 5. Feuerlöscher

6. Klarinette 7. Fahrrad 8. Rock/Kleid 9. CD-Player 10. Zelle (biologisch)


Welche anderen Sprachen verwenden so unterschiedliche Zählwörter?

Mannigfaltige Zählwörter sind keineswegs eine Eigenheit des Japanischen. Ähnliche Zählweisen finden sich auch in anderen ostasiatischen Sprachen wie Koreanisch, Chinesisch sowie auch in manchen Sprachen der Ureinwohner Amerikas. Diese Tatsa­che macht sie jedoch keinesfalls universell, da sich die Kriterien zur Klassifizierung interkulturell unterscheiden. Im Chinesi­schen etwa wird für lange, schmale Gegenstände der Begriff tiáo (条) benutzt, was mit dem japanischen Zählwort hon vergleichbar wäre. Tiáo wird auch tatsächlich für Straßen oder Schienen ver­wendet, die im Japanischen ebenfalls mit hon gezählt werden. Darüber hinaus kann tiáo dagegen auch für Fische, Raupen und sogar für Hunde benutzt werden, welche im Japanischen allesamt mit hiki gezählt werden. Vergleicht man demnach die Zählwör­ter verschiedener Kulturkreise, kann man eventuell bereits einen Einblick in deren Lebensweisen und Mentalitäten bekommen, wenn man überlegt, was sie sich wohl bei ihrer ursprünglichen Kategorisierung der Dinge gedacht haben könnten.


Lösung

1. b, c     2. b     3. e     4. a     5. b

6. b      7. d     8. a     9. d     10. e


Dieser Artikel erschien in der Januar-Ausgabe des JAPANDIGEST 2019 und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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