Japan ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes Land: Wer lange genug dort lebt, durchschaut schnell die offensichtlich stark kapitalistisch geprägte Gesellschaft und entdeckt mitunter fast sozialistisch anmutende Züge. So bezahlen Geringverdiener:innen fast gar keine Steuern und erhalten zahlreiche Vergünstigungen, während Gutverdiener:innen in Sachen Steuern, Rentenbeiträge und Krankenversicherung ordentlich zur Kasse gebeten werden. Andererseits sind Alters- und Kinderarmut, vor allem unter Alleinerziehenden, ein ernsthaftes Problem in Japan.
Grundlagen des Sozialversicherungssystems
Das japanische Sozialversicherungssystem besteht aus vier Grundpfeilern:
- Sozialhilfe
- Sozialversicherung, bestehend aus
- Krankenversicherung
- Pflegeversicherung
- Arbeitslosenversicherung
- Rentenkasse
- Soziale Wohlfahrt, bestehend aus
- Kinderwohlfahrt
- Mutter-Kind- und Witwenwohlfahrt
- Wohlfahrt für ältere Mitmenschen
- Wohlfahrt für Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen
- Versicherungsmedizin & öffentliche Hygiene, bestehend aus
- Mutter-Kind-Versicherung
- Impfsystem
- Abwendung öffentlicher Gesundheitsschäden
Sozialhilfe, Rentenkasse, Krankenversicherung – all diese Punkte kennt man auch aus Deutschland. Und dennoch gibt es drastische Unterschiede, die sich vor allem im Alter äußern. So lag die durchschnittliche Brutto-Rente Ende 2022 in Deutschland bei 1550 Euro, in Japan hingegen bei rund 160.000 Yen (umgerechnet aktuell 950 Euro), und das auch nur bei Festangestellten von Firmen oder Institutionen – bei “anderen”, sprich Arbeitnehmende, die irregulär beschäftigt waren ( z. B. viele Frauen, die wegen Kindererziehung dem Arbeitsmarkt viele Jahre fern blieben oder in Teilzeit arbeiteten) lag der Durchschnitt sogar nur bei 320 Euro pro Monat.
Unterschiede zu Deutschland
Auch bei anderen Sozialleistungen gibt es kleine, aber feine Unterschiede. So bezahlt der japanische Staat maximal sechs Monate lang Arbeitslosengeld, während dies in Deutschland je nach Fall über Jahre hinweg ausgezahlt wird. Schaut man sich die Zahlen der OECD zu den staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen an, ist der Unterschied eigentlich nicht so groß: Deutschland gab 2022 26,7 % seines Bruttosozialproduktes für Soziales aus, Japan 24,9 %[1]. Doch die Grundvoraussetzungen sind unterschiedlich:
- Deutschland ist ein Einwanderungsland und muss deshalb hohe Summen für die Unterbringung und Integration von Einwanderern aufbringen, die unter “Soziales” fallen. Das ist in Japan so gut wie nicht der Fall.
- Andererseits zahlen die erwerbstätigen Ausländer auch in die Kassen ein. Aufgrund der geringen Ausländerquote ist dieser Anteil in Japan äußerst gering, weshalb das Problem der überalternden Bevölkerung ungebremst auf das System einwirkt.
- Das japanische Bildungssystem ist ungleich teurer als in Deutschland. Gleichzeitig gibt es aber so gut wie keine staatlichen Förderprogramme wie BAföG.
- Mietzuschüsse oder Wohngeld sind weitestgehend unbekannt in Japan – wer kein Geld hat, lebt in entsprechend ärmlichen Verhältnissen.
- Die Zuschüsse für Familien mit Kindern (z. B. Kindergeld) sind in Japan kaum nennenswert.
Die japanische Regierung unternimmt große Bemühungen, die Bevölkerung zu ermuntern, die Altersvorsorge zu einem guten Teil selbst in die Hand zu nehmen – zum Beispiel, indem sie darauf verzichtet, Einkünfte aus Kapitalerträgen am Aktienmarkt zu besteuern (natürlich gibt es Obergrenzen). Deshalb unterhalten mehr als 10 % der Japanerinnen und Japaner ein sogenanntes NISA-Konto (Nippon Individual Savings Account; ein staatliches Investitionsprogramm, das Japan 2014 nach britischem Vorbild eingeführt hat), mit dem sie durch Aktienhandel steuerfrei dazuverdienen können.
Mangelnde staatliche Investitionen
Auffallend ist in Japan jedoch die geringe Investition in die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft. Die Tatsache, dass Sozialausgaben in diesem Sektor über Jahrzehnte sträflich vernachlässigt wurden, sorgt für eine ebenfalls seit Jahrzehnten sinkende Geburtenrate mit allen sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Der amtierende Premierminister Kishida Fumio erklärte dies sogar zur Chefsache – doch die ab 2026 geplante Gebühr (nach aktuellem Stand etwas weniger als monatlich 500 Yen pro Person), die alle Bürgerinnen und Bürger zur Bekämpfung des demografischen Wandelns entrichten sollen, kommt vor allem bei den Familien nicht gut an, die gerade Kinder im Schul- bzw. Studienalter haben. Denn dieses Bildungssystem verursacht mit Abstand die größten Kosten.
Letztendlich soll jedoch erwähnt werden, dass die sozialen Systeme weder in Deutschland noch in Japan perfekt sind. Es gibt sicherlich Staaten, die es deutlich besser machen. Es gibt aber noch mehr Länder mit schlechteren Systemen.
[1] Quelle: https://data.oecd.org/socialexp/social-spending.htm
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