Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Kamaishi – Eine starke Gemeinde von alten und neuen Einheimischen

Alena Eckelmann
Alena Eckelmann

Kamaishi in der Präfektur Iwate erlebt einen neuen Boom des Zuzuges von Stadtbewohnern, die sich nach der Ruhe des Landlebens sehnen. Nach der großen Dreifachkatastrophe vom März 2011 bemühen sich die Einwohner für den Aufbau als touristisches Reiseziel.

Sanriku-Küste
Der Ozean ist ruhig an der Sanriku-Küste an diesem Tag und ungeahnt ist die zerstörende Macht der Wellen. Foto: Alena Eckelmann

Die Vision für die Förderung des Tourismus in Kamaishi ist es, das gesamte Gebiet der Stadt als „Museum ohne Dach“ vorzustellen. Mit einer Fläche von über 400 km ist das ein ziemlich großes „Freilichtmuseum“, welches ein Museumsgebäude aber auch die Berge in der Küstenregion mit einschließt. Es erzählt die Geschichte von den Menschen und der Natur von Kamaishi, aber auch von Zerstörung und Wiederaufbau durch Naturgewalten vor dem Hintergrund der einzigartigen Geographie und faszinierenden Natur der Sanriku-Küste. 

Dabei profitiert Kamaishi in der Präfektur Iwate, wie auch andere zentrumsferne Präfekturen, von einem zunehmenden Trend der Stadt-Land-Migration. Diese Binnenmigranten, die unterschiedliche Motive für ihren Umzug haben, werden in den japanischen Medien oft U-Turn und I-Turn genannt. Ein U-Turn ist jemand, der in seine Heimat zurückkehrt. Ein I-Turn zieht in eine ländliche Gegend, zu der keine vorherige Beziehung etwa durch Geburt oder Kindheit bestand. Darüber hinaus gibt es noch den J-Turn, welcher an einen Ort zurückkehrt, der in der Nähe der eigenen Heimat liegt. 

In diesem Artikel sprechen wir mit Herrn Kubo Ryōta von der Kamaishi DMC (lesen Sie dazu mehr in Teil 1 der Artikelserie), einem so-genannten U-Turn, und mit Frau Satō Kanako, einer I-turn.

U-Turn und I-Turn in Kamaishi

Kubo Ryōta ist der Nachhaltigkeitskoordinator der Kamaishi DMC. Er ist in Kamaishi geboren und aufgewachsen, hat aber einige Jahre andernorts in Japan gelebt und gearbeitet. Im Jahr 2015 kehrte er zurück, um seiner Heimatstadt beim Wiederaufbau zu helfen und ist ein Gründungsmitglied der Kamaishi DMC.   

Satō Kanako kam von Tōkyō nach Kamaishi und half zunächst bei den Aufräumungsarbeiten nach dem schweren Tsunami vom März 2011. Jetzt ist sie die Geschäftsführerin des Nebama Campingplatzes und der Ohakozaki-Pension. Sie ist sehr gut vernetzt und fungiert daher auch als Koordinatorin für andere regionale Projekte. Sie ist eine wahre Wasserratte und sogar qualifiziert im Freitauchen! Sie unterweist Gäste im Schnorcheln und ist auch für alle anderen Marineaktivitäten verantwortlich.   

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Hakozaki
Frau Satō am Eingang zum Wanderweg auf der Hakozaki-Halbinsel. Sie führt dort gern Wanderungen mit Besuchern durch. Foto: Alena Eckelmann

JD: Was denken Sie über das Phänomen der Stadt-Land-Migration in Japan?

Satō: Für mich bedeutet U-Turn und I-Turn „umkehren“ oder zurückkehren“ zu seinem ursprünglichen Selbst. Die Ära der Massenproduktion, in der der wirtschaftliche Wert entscheidet, ist vorbei. Jetzt sind wir in einer neuen Epoche, in der das Menschliche wichtiger ist. Die Menschen erkennen, wofür sie geboren wurden und sie bestimmen, wie sie leben wollen. 

Kubo: Ich denke, dass U-Turn- und I-Turn-Migration nur der Weg, aber nicht das eigentliche Ziel ist. Die Migration ist ein Weg des Handelns, im Verlaufe dessen sich Menschen von vorgefassten Meinungen befreien und die bisher in ihnen verborgenen menschlichen Fähigkeiten entdecken können. Ich denke, dass Migration eine Handlung ist, die die Persönlichkeit testet.

Torii,
Torii, die scheinbar zum Meer hinaus führen. Hier wurde seit Urzeiten für die Sicherheit auf See gebetet. Foto: Alena Eckelmann

JD: Was begeistert Sie hier in der Präfektur Iwate?

Kubo: Vor dem Großen Erdbeben in Ost-Japan hatte ich kein Interesse an meiner Heimat Iwate. Für mich gab es dort nichts Besonderes und ich hatte den Eindruck, dass es sich um eine wenig profilierte Region handelte. Als ich mich nach meiner Rückkehr mehr und mehr mit Iwate beschäftigte, wurde mir bald klar, dass die Region viele historische Geheimnisse birgt, die gelüftet werden müssen. 

Satō: Ich war über die Vielfalt der traditionellen darstellenden Künste überrascht. Es gibt mehr als 3.000, die in der Präfektur Iwate überliefert wurden. Die Lieder und Tänze von Kagura gehören dazu und ebenso der Shishi-Odori (Hirschtanz) und der Sansa-Odori (Sansa-Tanzparade). Sie unterscheiden sich von Ort zu Ort etwas, wurden jedoch über Jahrhunderte hinweg überliefert und werden auch heute noch aufgeführt.

Shishi-Tanz
Einwohner von Iwate führen den Shishi-Tanz auf. Foto: Alena Eckelmann

JD: Wie denken Sie über die Wiederbelebung des ländlichen Raumes?

Satō: Wenn man die Werte von Tradition und Kultur spürt, die in der ländlichen Gemeinschaft verblieben sind, lernt man diese zu schätzen und möchte sie bewahren. Um dieses Gefühl zu fördern, muss man verschiedene Erfahrungen machen, die uns jeweils einen Schritt voranbringen, und man braucht etwas, das uns miteinander verbindet.

Kubo: Für eine signifikante Wiederbelebung halte ich es für wichtig, sich gründlich mit Schlüsselelementen von Herkunft, Geschichte und kultureller Entwicklung der Menschen zu befassen, die hierher kamen. 

Gedenksteine
Es gibt viele Gedenksteine entlang der Küste und kleine Schreine, wo Gebete an die Götter die Naturgewalten beschwichtigen sollen. Foto: Alena Eckelmann

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JD: Hat sich Ihr Engagement für Iwate auch auf Ihr persönliches Leben ausgewirkt?

Kubo: Meine Erfahrung mit dem Großen Erdbeben in Ost-Japan führte mich dazu, mich intensiv mit meiner Heimatstadt und meinen Wurzeln auseinanderzusetzen und Antworten auf viele Fragen zu finden. Ich konnte neue Menschen auf dieser Reise treffen, die mein Leben sowohl öffentlich als auch privat erfüllt haben.

Satō: Es gibt Menschen und Lebensstile, die naturverbunden sind, und es gibt Dinge, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Iwate hat mich fasziniert, weil ich diese Art von Erfahrung spüre und es an Reisende, die hierher kommen, weitervermitteln möchte. Ich denke, dass meine Aktivitäten in Iwate einen Einfluss auf den Leitfaden meines Alltags haben. Dieser Einfluss erscheint vage, ist aber sehr wichtig. Welche Art von Lebensstil möchte ich führen und wovon will ich leben? 

Megalithen in Iwate
Einer von unzähligen Megalithen in Iwate, der von den dortigen Einwohnern seit Urzeiten als Sitz von Gottheiten verehrt wird. Foto: Alena Eckelmann

JD: Welche Erfahrungen und Aktivitäten möchten Sie Besuchern empfehlen?

Satō: Ich möchte besonders Aktivitäten und Erlebnisse empfehlen, die das Leben und die Kultur der Küste und der Fischer erkunden. Es gibt interessante Formen der Fischerei, wie Aquafarming und das Netzfischen in der Ria-Landschaft. Es gibt Menschen, die immer wieder ans Meer zurückkehren, trotz der Tsunami-Gefahr. Die Fischer sind dankbar für den reichen Segen der Natur und sie fühlen sich ebenfalls verbunden mit den Menschen in den Bergen Iwates, wie zum Beispiel die Menschen in der Gegend von Tōno.

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Sobald sie auf ihr Boot steigen und aufs Meer hinausfahren, werden sie von ihrer Stärke und der Technologie in ihren Händen, von dem wunderschönen Meer, der herrlichen Küstenlandschaft und dem Reichtum an dort angebauten Algen und Meeresfrüchten berührt. Gleichzeitig werden sie der Bedrohung durch einen Tsunami ausgesetzt, und dadurch können sie verschiedene Dinge lernen und fühlen.

Kubo: Es sind die Überreste der Naturverehrung der Menschen, die seit Urzeiten in Iwate lebten und die man an Orten mit Megalithen und Wasserfällen spüren kann. Viele dieser Orte sind auf keiner touristischen Landkarte verzeichnet. Iwate ist eine sehr spirituelle und mysteriöse Region. Ich würde sogar sagen, dass eine Reise nach Iwate eine Reise zum Erfahren des Unsichtbaren ist. Wenn man diese Stätten der Naturverehrung besucht, dann kann man die „Antennen“ sowohl geistig als auch körperlich so einstellen, dass man das Unsichtbare spürt.

In Iwate gibt es auch viele Schreine, die den Berggottheiten gewidmet sind. Seit altersher besteht eine Verbindung zwischen den Menschen in den Bergen und den Menschen am Meer. Foto: Alena Eckelmann

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