Nicht nur in Deutschland wird ein Beitrag für Geräte erhoben, die öffentliche Rundfunksender empfangen können. Auch in Japan setzt die japanische Rundfunkgesellschaft Nippon Hōsō Kyōkai, kurz NHK, alles daran, die Rundfunkgebühr zu erheben – egal ob man das Angebot an Fernseh- oder Radiosendern sowie Internetpräsenzen wahrnimmt oder nicht.
Die NHK-Gebühren
Die rechtliche Grundlage der NHK-Gebühren ist in Artikel 64 des japanischen Rundfunkgesetzes festgelegt. Ähnlich den Ansprüchen der bis 2012 bestandenen deutschen Gebühreneinzugszentrale (GEZ), verlangt die NHK von jedem japanischen Haushalt, der ein empfangsfähiges Gerät installiert hat, eine Gebühr zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hierunter fallen auch Haushalte von sich in Japan aufhaltenden Ausländern. Auf diese Weise gelang es der Rundfunkgesellschaft im Jahr 2017 rund 691,3 Mrd. Yen (ca. 5,5 Mrd. Euro) einzunehmen. Verglichen hierzu betrugen die Gesamterträge des seit 2013 bestehenden deutschen ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice (im Weiteren als GEZ bezeichnet) im gleichen Zeitraum knapp 8 Mrd. Euro.
Es stellt sich also die Frage, warum die Gebühreneinnahmen in Japan, trotz einer weitaus größeren Anzahl an Haushalten, so viel geringer ausfallen als die der GEZ. Untersucht man zunächst die Höhe der monatlichen Haushaltsbeiträge, stellt man fest, dass diese in Japan in zwei Klassen unterteilt werden: Wird das private Fernsehprogramm über Satellit bezogen, kostet es derzeit maximal 2.280 Yen (ca. 18,25 Euro). Empfängt man es über eine Antenne, werden höchstens 1.310 Yen (ca. 10,50 Euro) fällig. Im Jahr 2017 bezogen etwa die Hälfte aller rund 44 Mio. zahlenden Haushalte ihr Fernsehprogramm über einen Satellitenempfang. Aus diesen Werten ergibt sich ein grober Durchschnittsbeitrag von rund 14,38 Euro pro Haushalt. Vergleicht man diese Zahlen mit den mehr als 39 Mio. zahlenden deutschen Haushalten, welche monatlich jeweils 17,50 Euro entrichten, sollte sich aufs Jahr gerechnet eigentlich nur eine Differenz von etwa 600 Mio. Euro zwischen den japanischen und deutschen Beitragszahlungen privater Haushalte bemerkbar machen. Woher stammt also die in dieser Rechnung unergründete Differenz von ca. 1,9 Mrd. Euro?
Schaut man sich neben den tatsächlich beitragszahlenden Haushalten die absolute Zahl der Haushalte an, findet man ein Indiz für die bestehende Diskrepanz: Während von den 41,3 Mio. deutscher Haushalte laut GEZ-Bericht 2017 ca. 39 Mio. ihre Beiträge leisteten, zahlten in Japan 2015 hingegen nur 44 Mio. von 56 Mio. gemeldeten Haushalten ihre Gebühren. Doch wie ist es möglich, dass mehr als 20 % aller japanischen Haushalte in der Lage sind, die Rundfunkgebühren zu umgehen?
Gesetzliche Lage und Schlupflöcher
In einem Gerichtsurteil vom 6. Dezember 2017 stellte der oberste Gerichtshof Japans fest, dass alle Besitzer eines NHK-empfangsfähigen Gerätes gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Rundfunkgebühren zu bezahlen. Der Prozess wurde von der NHK angestoßen, die gegen einen Mann aus Tōkyō vorgehen wollte, welcher sich seit 11 Jahren weigerte, die Gebühr zu entrichten. Streitpunkt war die ungenaue Formulierung des Artikels 64, welcher keine genaue „Pflicht“ zur Zahlung stipuliert. Der Mann argumentierte, dass über den Erwerb eines Fernsehers kein automatischer Vertrag mit der NHK zu Stande käme und es erst gewisser „Anstrengungen“ der NHKs bedürfe, mit den Fernsehbesitzern einen rechtlich bindenden Vertrag einzugehen – die Zustimmung des Gebührenzahlers sei daher von essentieller Bedeutung. Die NHK hingegen konstatierte, ein Vertrag käme bereits zustande, wenn ein Haushalt mit empfangsfähigem Gerät eine Zahlungsaufforderung der NHK übermittelt bekäme. Letztlich gab das Gericht der Rundfunkgesellschaft recht und bestätigte den bisher geltenden Gesetzestext.
Da sich durch das Gerichtsurteil de facto nichts veränderte und die Durchsetzung des Gesetzes weiterhin unklar formuliert ist, bleibt somit auch das seit Jahrzehnten ausgenutzte Schlupfloch vieler Haushalte erhalten: Solange die NHK nicht beweisen kann, dass man ein empfangsfähiges Gerät besitzt, kann man die Zahlung der Gebühr verweigern. Ist man dennoch im Besitz eines solchen Gerätes und zahlt nicht, macht man sich laut Gesetz zwar strafbar, allerdings gibt es bis dato keine Strafe für eine Nichtzahlung. Wird man von der NHK „erwischt“, muss man im schlimmsten Fall die versäumten Gebühren nachzahlen.
Das Verbleiben der Beweispflicht bei der NHK zwingt diese dazu, umfangreiche Mittel einzusetzen, um die Leute zum Nachkommen ihrer Gebührenzahlung zu bewegen. Neben postalischen Zahlungsaufforderungen und Werbekampagnen, die an das gute Gewissen der Menschen appellieren, sind auch die sogenannten „NHK-Männer“ im ganzen Land unterwegs. Die Vertreter sind in der Bevölkerung, ob ihrer Hartnäckigkeit und teils intrusiven Verhalten, allerdings nicht besonders beliebt.
Klingelt der Vertreter an der Haustür, raten viele Benutzer von diversen Online-Foren dazu, die Tür nicht zu öffnen und so zu tun als sei man nicht zuhause. Öffnet man dem NHK-Mann einmal doch ausversehen die Tür oder wird man von diesem am Hauseingang abgepasst, solle man den Besitz von Fernsehgeräten, Computern oder Smartphones verneinen. Erwischt der Vertreter einen dennoch in flagranti beim Telefonieren oder ist eines der Geräte von der geöffneten Tür aus erspähbar, kann man der regelmäßigen Zahlung der Rundfunkgebühren kaum mehr entkommen. Häufig scheinen solche Situationen durch die Vertreter bewusst herbeigeführt zu werden, indem Sie am sehr frühen Morgen, abends oder an Wochenenden ihre Runden machen. Da viele Wohnungen über Gegensprechanlagen verfügen und man oft nicht weiß, mit wem man gerade redet, bevor es zu spät ist, wird von den Gegnern der NHK-Gebühr geraten, stets nur mit „Hallo“ zu grüßen, um im Zweifelsfall abstreiten zu können, der tatsächliche Wohnungsbesitzer zu sein.
Ferner gibt es vereinzelte Berichte, in welchen betroffene Leute von besonders trickreichen und dreisten Maschen der NHK-Vertreter erzählen: Manche sollen versuchen die Angetroffenen durch geschickt gestellte Fragen zu verwirren und zum Versprechen und Aufgeben zu bewegen, andere schleichen sich an die Fenster, um einen besseren Einblick in den Wohnraum erhaschen zu können. Wiederrum andere bewegten sich gar auf dem Grat zur Illegitimität, indem sie einen Fuß in die Tür setzten und sich selbst in den Eingangsbereich oder in die Wohnung einlüden. Ein weiterer Trick der Vertreter sei es vorzugeben, die Toilette benutzen zu müssen und sich auf dem Weg zum Örtchen zu „verlaufen“.
Viele Ausländer in Japan greifen auch auf den Trick zurück, so zu tun als könne man kein Japanisch. Jedoch haben sich bereits zahlreiche NHK-Männer mit englischsprachigen Informationsmaterialien auf derartige Situationen vorbereitet oder sie kommen ein paar Tage später mit einem Englisch sprechenden Kollegen wieder.
Alles in Allem erinnern die Strategien der NHK sehr an jene der GEZ-Vertreter aus den Zeiten vor der Reform zum Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, welcher die GEZ in den ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice umwandelte. Dem einher ging die Änderung von einer Gebührenzahlung, hin zu einer Beitragszahlung. Auf diese Weise gelang es den öffentlichen Rundfunkanstalten, die Inanspruchnahme ihrer Dienste von der Zahlung zu entkoppeln. Diese nun gesetzlich eindeutige Pflicht eines jeden deutschen Haushalts, den Beitrag leisten zu müssen, bedeutete das Ende der damaligen GEZ-Vertreter. Da es in Japan jedoch keine Hinweise gibt, welche auf eine umfassende Reform der Rundfunkgebühren hindeuten, werden sich alle japanischen Haushalte auch in Zukunft mit der Existenz der NHK-Männer auseinandersetzen müssen.
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