In ihrem Megahit von 1984, „Plastic Love“, besang Takeuchi Mariya noch das gebrochene Herz einer jungen Frau, die ihre Sehnsucht in Partys und Anziehsachen ertränkt. Heute kann der Liedtitel synonym für Japan und dessen Beziehung zum Kunststoff verstanden werden. Wer bereits einmal in Japan einkaufen war, egal ob nur eine Postkarte oder gleich Verpflegung für mehrere Tage im Supermarkt, dem wird es sicherlich rasch aufgefallen sein: Plastik und Plastikverpackungen sind hier allgegenwärtig.
Postkarten z.B. befinden sich oftmals in einem dünnen Plastikkuvert, welches die Unversehrtheit der Karten und ihrer Motive gewährleisten soll. Beim Bezahlen wird man natürlich, wie hierzulande auch, gefragt, ob man denn eine Plastiktüte benötige. Schließlich helfen beide Schritte, die Unversehrtheit der Postkarte zu gewährleisten. Denkt man allerdings einen Schritt weiter und sinniert darüber, was mit der Karte alles auf dem Postweg passiert, nachdem man diese beschriftet und in den Postkasten eingeworfen hat, kann schon einmal die Frage aufkommen, ob wenigstens das Plastikkuvert nicht vielleicht ein bisschen überflüssig war.
Plastik in Japan: Subjektive Wahrnehmung vs. Statistik
Begibt man sich in Japan auf das Abenteuer einkaufen zu gehen, fällt einem als Deutscher, mit einem gewiss tief geprägten Recyclingbewusstsein, noch stärker Japans Vorliebe zu Plastikverpackungen auf: Wo bei uns die Eier in wiederverwertbaren Kartons in den Supermarktregalen stehen, gibt es diese in Japan vorwiegend in Plastikschachteln. Auch einzelne Früchte wie Äpfel, Birnen, Mangos oder Grapefruits findet man häufig, von einem zusätzlichen Plastikfilm umgeben, verpackt in einem schaumstoffartigen, grobmaschigen Netz aus Kunststoff. Diese Umverpackungen sollen das Obst und die Früchte natürlich vor Beschädigungen schützen, allerdings fragt man sich, ob beides zusammen nicht vielleicht etwas zu gut gemeint ist. Beim Bezahlen bekommt man dann wie gewohnt eine Plastiktüte angeboten. Diese kann man aber, wie viele Japaner ebenfalls, mit der hilfreichen Phrase irimasen („Benötige ich nicht“) dankend ablehnen. Vermehrt bieten viele Geschäfte Papiertüten als Alternative zur Plastikversion, jedoch wird auch hier nicht gänzlich auf den Einsatz des nützlichen Kunststoffes verzichtetet. Ist das Wetter regnerisch, bekommt man zur Papiertüte zusätzlich noch ein kostenloses Plastikcover, welches man über die Tüte stülpen kann, damit diese nicht feucht wird und reißt.
Diese Alltagserfahrungen zu Japans erhöhtem Plastikkonsum decken sich auch mit einigen Statistiken. Schaut man sich den Verbrauch von Plastikverpackungen pro Kopf an, ist Japan im internationalen Vergleich ganz oben mit dabei: Laut dem neuesten Bericht der Vereinten Nationen über die Nutzung von Einweg-Kunststoffen belegt das Land, nach den USA, mit rund 32 kg erzeugtem Plastikmüll pro Person den zweiten Platz. Die EU liegt allerdings mit 31 kg nicht weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Betrachtet man derweil, dass Deutschland zudem noch mehr als 6 kg über dem EU-Durchschnitt liegt, stellt man schnell fest, dass der verschwenderisch wirkende Plastikgebrauch Japans in keiner Weise als Einzelfall zu begreifen ist. So handelt es sich hierbei scheinbar um ein weitumfassendes Problem, mit welchem alle Industrienationen konfrontiert sind.
Warum ist Plastik in Japan als Verpackungsmittel so beliebt?
Begegnen wir nun also der Frage, warum in Japan so viele Konsumgüter im Plastikgewand daherkommen. Setzt man sich mit diesem Eindruck auseinander, scheinen besonders vier Faktoren richtungsgebend zu sein: Hygiene, Tradition, Aufwertung und Komfort.
Zum einen schreiben hohe Hygienevorschriften und -standards der japanischen Regierung vor, dass viele weiterverarbeitete Waren, die zum Verzehr oder für körperliche Anwendungen gedacht sind, wie etwa Lebensmittel und Kosmetika, sicher für den Konsum sein müssen. Diesen Standards begegnen zahlreiche Hersteller durch den einfachen und vor allem günstigen Einsatz von Plastikverpackungen, welche die Qualität ihres Produkts gewährleisten und es vor äußeren Einflüssen abschirmen sollen.
Weiterhin ist es Tradition, Freunden, Verwandten oder Geschäftspartnern kleine Geschenke zu machen. Diese müssen natürlich verhüllt werden und so kam zu den früher verwendeten Verpackungsmitteln aus Stoff oder Papier im Laufe des japanischen Wirtschaftsaufstiegs auch das Plastik mit hinzu. Die vielseitigen Kunststoffe wurden von den Herstellern verschiedenster Güter als ideales Mittel gesehen, die eigenen Waren unversehrt und zugleich ansprechend anbieten zu können.
Im Gegensatz zur in Deutschland gängigen Mentalität, dass Plastik gleich billig sei, genießt Kunststoff in Japan zudem ein weitaus positiveres Ansehen. So vermögen es besonders edel anmutende Plastikfolien oder Kunststoffverpackungen, das Produkt durch den Einsatz passender Motive und Farben optisch aufzuwerten und ihm einen Touch Luxus zu verpassen.
Hinzu kommt schließlich noch eine gewisse Erwartungshaltung des japanischen Konsumenten. Kauft man etwa eine Tüte Kekse oder Schokoladenkonfekt, wird schlicht erwartet, dass die einzelnen Happen noch einmal selbst verpackt sind. Diese Eigenschaft trägt erheblich zum Komfortgefühl des Artikels bei, da die separaten Kleinigkeiten einfach aufzuteilen und mitzunehmen sind. Diesem Paradigma möchte sich kaum eine Firma widersetzen, aus Angst schlechter als die Konkurrenz dazustehen. Ferner sind die geringen Mehrkosten der Plastikverpackungen so unerheblich, dass diese nur einen Bruchteil des Gesamtpreises ausmachen.
Folgen des Plastikkonsums
Die mittlerweile immensen Ausmaße des weltweiten Kunststoffkonsums haben bereits heute umfassende Auswirkungen auf unsere Umwelt. Vor allem die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikabfälle ist eine der visuell auffallendsten Auswirkungen. So sammeln sich u.a. gigantische „Plastikinseln“ in der Größe von ganzen Ländern auf den Meeren. Die intensive UV-Einstrahlung des Sonnenlichts sorgt in diesem Falle dafür, dass die Kunststoffe strukturell geschwächt werden und sich schneller in sogenanntes Mikroplastik zersetzen. Dieses mikroskopisch kleine, poröse Material nimmt zusätzlich noch Schadstoffe aus seiner Umwelt auf und findet letztlich seinen Weg in die Körper der Meerestiere und -pflanzen. Da Japan als Inselstaat traditionell von den Reichtümern des Meeres abhängig ist, stellt diese Kontaminierung der Weltmeere ein nicht zu vernachlässigendes Problem dar. Auf diese Weise gelangt Mikroplastik nunmehr auch über das Essen in den menschlichen Körper. Welche genauen Auswirkungen dies auf die Gesundheit haben wird, ist aufgrund mangelnder Langzeitstudien und schwer zu isolierenden Symptomen bisher nicht bekannt.
Doch nicht nur Mikroplastik stellt ein weitreichendes Problem dar. Nicht zersetzte Plastikabfälle sinken auf den Meeresgrund herab oder werden durch die Strömungen auf der ganzen Welt verteilt. Da Plastik bis zu 1.000 Jahre benötigt um sich aufzulösen, haben Meeresbewohner mehr als genug Zeit, herumtreibenden Kunststoffmüll für Beute zu halten und zu verschlucken. So fanden bereits zahllose Fischer und Forscher Plastikabfälle in den Mägen von Walen, Thunfischen, Haien und vielen weiteren marinen Großtieren. Der unverdauliche Kunststoff füllt und verstopft die Verdauungstrakte der Tiere, welche infolgedessen qualvoll verhungern. Zusätzlich zur Überfischung der Meere trägt diese Problematik nicht unerheblich dazu bei, das Ökosystem des Meers zu kippen.
Lehnt Japan die Vermeidung von Plastikmüll ab?
Japan sollte ein grundlegendes Interesse daran haben, dass kein weiterer Plastikmüll in die Meere gelangt. Somit ist es erstaunlich, dass das Land, zusammen mit den USA, nicht die „Ocean Plastics Charter“ auf dem G7-Gipfel 2018 in Kanada unterzeichnete. In dem Abkommen verpflichteten sich Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, das Vereinigte Königreich und die Europäische Union dazu, ressourceneffizienter und nachhaltiger mit Plastik umzugehen. Dabei setzten sie sich u.a. das Ziel, bis 2030 alle Plastikabfälle zu 100 % wiederverwertbar, recyclebar oder, sofern nicht anders möglich, für spätere Wiederaufbereitung aufbewahrbar zu machen. Japan lehnte die Vereinbarung zunächst ab, da die Regierung erst einmal prüfen wolle, welche Auswirkungen diese Richtlinien auf die Bevölkerung und Industrien des Landes habe.
Die Ablehnung Japans zur Ocean Plastics Charta wirft schließlich die Frage auf, wie es im Land der aufgehenden Sonne überhaupt um das Recycling, speziell Plastikaufbereitung, bestellt ist. Der zweite Teil unseres Artikels wird sich demnach der Thematik widmen, wie Japan mit dem selbstgeschaffenen Problem des Plastikmülls umgeht und welche Lichtblicke und Zukunftsideen es gibt, die Menge an umweltschädlichem Abfall zu verringern.
Kommentare