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Disneyland in Schuluniform – ein japanisches Phänomen erklärt

Matthias Reich
Matthias Reich

Sie sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken, zumindest nicht in den großen Städten: junge Mädchen in Schuluniform, die sich in kleinen Gruppen amüsieren, ob im Tokyo Disneyland, beim Shoppen oder beim Karaoke. Woher kommt dieser Trend, und warum tragen Oberschülerinnen auch außerhalb der Schule ihre Uniformen?

© iStock.com/dogbitedog69

Es ist schon etwas seltsam: Da leben die JK (Englisch gesprochen, ist dies die oft genutzte Abkürzung für joshi kōsei, “Oberschülerinnen”) quasi im Mekka für junge Frauen, mit Modegeschäften an jeder Straßenecke – aber nein, es muss die Schuluniform sein, wenn es zu privaten Exkursionen ins Tokyo Disneyland oder anderen Orten zum Amüsieren geht. Sehr viele japanische Oberschulen haben ihre eigenen Uniformen, und dazu auch noch mehr oder weniger strenge Regeln, was damit erlaubt ist: Zum Beispiel, wie kurz der Rock sein darf oder wie die Strümpfe und die Frisur beschaffen sein müssen. Piercings oder das Färben der Haare sind in der Regel auch verboten. Eigentlich könnte man da erwarten, dass die heranwachsenden jungen Frauen bei der ersten Gelegenheit die Uniform in die Ecke werfen – doch dem ist nicht so.

Gruppenzugehörigkeit

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Amüsiert man sich mit Klassenkameradinnen, dann bietet sich die Schuluniform wunderbar an, denn so entstehen leicht Bilder – und darum geht es im Prinzip auch nur – auf denen die Zusammengehörigkeit erkennbar ist. Außerdem kann man so schlimme Mode-Fauxpas vermeiden. Man muss nichts koordinieren, ungewünschte Überschneidungen können nicht passieren, und man muss sich auch keine Sorgen machen, das ein anderes Mädchen vielleicht schönere Sachen hat.

Shun – Die richtigen Dinge zur richtigen Zeit

Sicher spielt bei der Angelegenheit auch das Prinzip des shun, der Saisonalität, eine wichtige Rolle: Schuluniformen trägt man in Japan in der Regel nur in der Mittel- und Oberschule, sechs wichtige Lebensjahre. Zwar tragen ein paar ausgefallene Japaner:innen eine Schuluniform auch nach dem Abschluss (ja, selbst Männer), doch normalerweise legt man die Uniformen nach der Oberschule für immer ab. Da ist es durchaus sinnvoll, die letzten Jahre in Uniform noch einmal richtig zu genießen – dank der Fotos kann man dann viele Jahre später leicht nachvollziehen, in welchem Alter man da gerade war.

Ein Trend seit 2008

Der Hashtag #制服ディズニー (#seifukudisney) tauchte zum ersten Mal im Jahr 2008 auf und geistert seitdem durch die sozialen Medien. Seifuku ist dabei der japanische Begriff für die (Schul)uniformen. Die Posen sind auffallend gleichgeblieben und haben sich in den letzten 20 Jahren so gut wie gar nicht verändert. Doch das Posten von Fotos in Schuluniformen ist nicht ungefährlich. Viele Schulen verbieten es nämlich, diese außerhalb der Schule und des Heimwegs zu tragen – anhand der Uniform kann man nämlich oftmals erkennen, an welcher Schule die Mädchen lernen, und negatives Verhalten wird durchaus mal direkt an die Lehrkräfte gemeldet. Aus dem Grund sind die Uniformen, die in der Freizeit getragen werden, nicht zwingend die echten Schuluniformen – gerne werden gewisse Accessoires wie das Tuch ausgetauscht, um die Herkunft zu verschleiern.

Ein weiteres Problem beim Tragen der “vollen” Uniform ist ebenfalls typisch Japanisch: Wenn alle Uniformen tragen, sind alle gleich, könnte man meinen. Doch alle Oberschulen unterliegen einem strikten Ranking. Man kann sehr leicht im Internet herausfinden, welchen hensachi-Koeffizienten die jeweilige Schule hat. Dieser Wert richtet sich nach der statistischen Standardverteilung – 50 bedeutet, dass die Schule exakt in der Mitte liegt. Doch Schulen mit einem Wert von 70 gehören zu den absoluten Eliteschulen, an die zu kommen es sehr viel Eifer und Grips benötigt, während an Schulen mit einem Wert von 35 an Bildung kaum zu denken ist. Da einige Schulen auf beiden Enden der Skala berühmt beziehungsweise berüchtigt sind, kann es da durchaus zu ungewollten Kommentaren kommen.

Zwischen Gleichschritt und Selbstausdruck

Sozialwissenschaftlich ist dieses Phänomen hochinteressant: Während in den meisten westlichen Ländern Individualität zunehmend an Bedeutung gewinnt, genießt Uniformität in Japan nach wie vor einen hohen Stellenwert. Entsprechend gibt es kaum Kritik an Schuluniformen – wenn überhaupt, richtet sich der Protest einiger Eltern und Kinder maximal gegen allzu strenge Schulregeln. Auffällig ist dabei, dass das freiwillige Tragen von Schuluniformen nahezu ausschließlich bei Mädchen zu beobachten ist – bei Jungen hingegen nicht. Dabei geht es keineswegs darum, das andere Geschlecht zu beeindrucken: Die Uniform tragen die Mädchen ganz für sich und ihre Mitschülerinnen.

Burakku Kōsoku: Wenn Schulregeln die Grenzen überschreitenRigide Kleidervorschriften, vorgeschriebene Haarfarben und strenge Verhaltensregeln – Japans sogenannte „schwarze Schulregeln“ sorgen für im...22.10.2024

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