Kurz bevor Ishiba Shigeru am 1. Oktober zum neuen Premierminister gekürt wurde – eine logische Konsequenz nach der gewonnenen Wahl zum Vorsitzenden der regierenden Liberaldemokraten – hieß es, dass es keine vorgezogenen Neuwahlen geben soll. Keine Woche später löste Ishiba das Unterhaus auf und setzte die Neuwahlen für den 27. Oktober 2024 an. Die Zustimmungsrate seines Kabinetts fiel kurz darauf zwar in den Keller – doch das macht nichts, denn scheinbar kann die Opposition davon nicht profitieren.
Was ist eigentlich Opposition?
Die Liberaldemokratische Partei gibt dem alten Sprichwort divide et impera – “Teile und herrsche“ – eine ganz neue Bedeutung: Die Partei ist so lange und so erfolgreich an der Macht, dass die Liberaldemokraten ein Sammelbecken all jener ist, die es “zu etwas bringen wollen”. Doch das führt zu verschiedenen Strömungen in der Partei – und zu sogenannten habatsu, Faktionen, die manchen Wählern den Eindruck vermitteln, dass eine gewisse Faktion quasi selbst Opposition ist. Womit die Partei unterschiedliche Positionen einnehmen kann – die der Regierungspartei und die der Opposition. Zwar versuchen die Liberaldemokraten nun, diese Faktionen abzuschaffen, doch jahrzehntelang war dies ein Geheimrezept.
Parteienwirrwarr
In vielen Ländern, so auch in Deutschland, gibt es alteingesessene Parteien, die so seit vielen Jahrzehnten (z. B. die Grünen) oder gar seit weit mehr als 100 Jahren (z. B. die SPD) existieren. Sie sind feste Größen in der Demokratie. In Japan hingegen muss man schon ziemlich politikinteressiert sein, um zu wissen, welche Partei wann aus welcher anderen hervorgegangen ist. Ein Beispiel:
Ab 1998 existierte die minshutō, die “Demokratische Partei Japans”, mit einer Ausrichtung von Mitte-Links bis Mitte. Daraus wurde 2016 die minshintō, die “Demokratische Fortschrittspartei”. Bis 2018 – ab dann hieß sie kokumin minshutō, die “Demokratische Volkspartei” – nun jedoch eher mit einer Mitte-Rechts-Ausrichtung. Der Name hielt ebenfalls nur zwei Jahre, denn nach einem neuen Zusammenschluss wurde daraus die rikken minshutō (kurz: Rikken), die “Konstitutionell-Demokratische Partei”, die nun wieder eher Mitte-Links ausgerichtet ist. Bei so viel Demokratie, Volk und Fortschritt, gepaart mit grundlegenden Richtungsänderungen, verlieren die Wähler schnell den Überblick.
Uneinigkeit bei der Opposition
Bei der Sonntagsumfrage gut eine Woche vor der Wahl[1] gaben nur 26,1 % der Befragten an, die Liberaldemokraten wählen zu wollen. Das entspricht fast genau der Zustimmungsrate des Ishiba-Kabinetts, denn die lag in der gleichen Zeit bei sehr schwachen 28 %. Ein gutes Viertel klingt dabei nicht nach einem gesicherten Regierungsauftrag. Doch die stärkste Oppositionskraft, die Rikken, kam bei der Umfrage nur auf 10,1 %. Und nicht nur das: Auf die Frage, ob man sich einen Regierungswechsel wünscht, antworteten 45,3 %, dass sie weiterhin die Liberaldemokraten auf der Regierungsbank sehen wollen – nur 27,5 % hießen einen Wechsel willkommen.
Bei der kommenden Wahl geht es – mal wieder – um das alte Problem von seiji to kane, Politik und Geld. Innerhalb der letzten 12 Monate kam immer mehr ans Licht, dass liberaldemokratische Spitzenkandidaten Spendengalas veranstalteten, aber nirgendwo angaben, wie viel Geld sie einnahmen – und was mit dem Geld letztendlich geschah. Die Partei versprach, aufzuräumen: So wurden die betroffenen Politiker damit bestraft, bei der kommenden Wahl keine Mittel, inklusive Wahlhelfer, zur Verfügung gestellt zu bekommen. Aus diesem Grund ist der Wahlkampf nun von einem seltsamen Bild geprägt: Politiker, die sich vor Bahnhöfen und Autos heraus tausendfach für die Spendenaffären entschuldigen, dabei aber darauf hinweisen, dass nur sie die zahllosen Probleme lösen können. Oppositionspolitiker hingegen gehen mit dem Spruch “Wir brauchen keine Abgeordneten mit schwarzen Kassen” hausieren, doch es fehlen sowohl Inhalte als auch eine geschlossene Position, denn fast alle Oppositionsparteien beharren auf ihren eigenen Standpunkten – Kompromisse sind nahezu ausgeschlossen.
Doch zurück zur Sonntagsfrage, wen die Befragten denn wählen wollen: 62,2 % gaben an, keine Präferenz zu haben. Und das bedeutet letztendlich nur eines: Fast zwei Drittel der potenziellen Wähler vertrauen weder der Regierungspartei noch der Opposition; die Masse wird deshalb gar nicht zur Abstimmung gehen. Und da eine satte Mehrheit dann doch lieber alles beim Alten wissen möchte, wird Ishiba einen ungefährdeten Sieg einfahren. Es wird jedoch ein Pyrrhussieg sein, denn die Zustimmungswerte der Liberaldemokraten befinden sich auf einem fast schon historischen Tiefstand, an dem auch der Wechsel vom zunehmend unbeliebten Ex-Premierminister Kishida zum hin- und her schwankenden Ishiba nichts ändern konnte.
[1] Siehe hier: https://www.jiji.com/jc/article?k=2024101700714&g=pol
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