Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Ist die alte Kaiserstadt Kyōto bald bankrott? Eine Stadt in Aufruhr

Matthias Reich
Matthias Reich

Im März 2021 platzte während einer Versammlung des Stadtrates in Kyōto die Bombe: Das Finanzresort meldete, dass die Millionenstadt im Jahr 2028 pleite gehen könnte. Doch was bedeutet das für die alte Kaiserstadt, und wie konnte es so weit kommen?

Kyoto
Eine alte Straße in Kyōto: Der Stadt selbst geht es finanziell nun an den Kragen.

Der Fall machte im Jahr 2007 Schlagzeilen: Yūbari, eine Kleinstadt auf Hokkaidō und landesweit bekannt für ihre schmackhaften Melonen, erklärte den Bankrott. Gerade einmal 11.000 Menschen lebten zu dem Zeitpunkt in Yūbari, doch die Stadt hatte bis dahin fast eine halbe Milliarde Euro an Schulden angehäuft, und so war beim besten Willen nicht abzusehen, wie diese Schulden jemals getilgt werden können. Die Stadt wurde fortan von einer Restrukturierungsbehörde verwaltet, mit all den unangenehmen Folgen: Die Gemeindesteuer stieg und Budgets wurden zusammengestrichen.

Das hatte fatale Folgen. Heute hat der Ort nur noch circa 7.000 Einwohner, doch die Probleme waren absehbar. In der Gegend rund um Yūbari wurde bis in die 1980er Kohle abgebaut. Dank dessen hatte die Stadt zu Spitzenzeiten, in den 1970ern, über 100.000 Einwohner. Doch mit der Schließung des Bergwerkes verschwanden die Kumpel und deren Familien. Zurück blieb eine rapide schrumpfende Stadt mit vielen Verbindlichkeiten, aber ohne nennenswerte Geldquellen.

An der Corona-Pandemie allein liegt es nicht

Warum droht nun Kyōto ein ähnliches Schicksal? Natürlich denkt man dabei sofort erstmal an die Corona-Pandemie, denn Kyōto ist ein Touristenmagnet, und das nahezu gänzliche Ausbleiben ausländischer Besucher macht sich unweigerlich bemerkbar. Die Auslastung der Hotels zum Beispiel lag in den vergangenen zwei Jahren bei gerade einmal knapp 25 %. Souvenirläden, Verkehrsmittel, Bars, Restaurants und dergleichen sind davon natürlich genauso betroffen. Doch es gibt noch ein paar grundlegendere Probleme, die sich nicht ohne weiteres lösen lassen:

  • Teure Infrastruktur: Die 1,5 Millionen-Einwohnerstadt baute inmitten der Hochwachstumsphase in den 1980ern zwei U-Bahnstrecken, die jedoch nie die prognostizierten Fahrgastzahlen erreichten – die U-Bahn ist ein enormes Verlustgeschäft für die Stadt. Von 2004 bis 2017 allein musste die Stadt fast 800 Millionen Euro dazu schießen.
  • Geringe Kommunalsteuereinnahmen: Kyōto ist eine Universitätsstadt – hier leben rund 150.000 Studierende (also 10 % der Bevölkerung), und diese haben auch in Japan nicht viel Geld. Errechnet man ihren Anteil an der kommunalsteuerpflichtigen Bevölkerung, so kommt man auf über 40 %. Anders gesagt, mehr als ein Drittel der steuerpflichtigen Bewohner zahlt nur minimale Steuern.
  • Begrenzte Grundsteuereinnahmen: Grundsteuern sind eine weitere, sehr wichtige Einnahmequelle für Städte in Japan. Die Grundsteuer wird auf Grundlage der Grundstücksfläche sowie der benutzbaren Fläche (Wohnraum-, Bürofläche usw.) berechnet. In Kyōto gibt es jedoch sehr viele von der Grundsteuer befreite Tempel und Schreine. Außerdem ist die Stadt darauf bedacht, ihr historisches Antlitz zu wahren und erlaubt deshalb nicht den Bau von Hochhäusern – während also in Ōsaka, Tōkyō, Nagoya und anderen Millionenstädten die Einnahmen dank immer neuer Hochhäuser weiter sprudeln, hat Kyōto hier das Nachsehen.

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Tourismus federt die Strukturprobleme nicht ab

Bei genügend Touristen kann Kyōto das eine oder andere Problem mildern: Touristen füllen U-Bahnen, und sie können das Loch der geringen Kommunalsteuereinnahmen stopfen. Schließlich verzeichnete Kyōto im letzten Vor-Corona-Jahr im Schnitt über vier Millionen Besucher pro Monat1. Doch selbst wenn die Besucherzahlen auf Vor-Pandemie-Niveau zurückkehren, bleiben die oben genannten strukturellen Probleme bestehen, die einen Bankrott lediglich hinauszögern.

Ein Bankrott der Stadt hätte schwerwiegende Folgen: Er würde wie im Falle von Yūbari für eine Flucht der Bewohner sorgen. Bei der Wohnortwahl spielt nämlich die Höhe der von den Kommunen veranschlagten Kommunal- und Grundsteuer eine große Rolle, ebenso wie die Qualität öffentlicher Einrichtungen wie Parks, Bibliotheken und dergleichen. Der Bankrott würde auch das Herz der für ihren Stolz bekannten Kyōtoer Bürger brechen, denn die Stadt würde das Recht verlieren, sich selbst verwalten zu können.

Bis 2028 sind es allerdings noch ein paar Jahre, und natürlich hoffen Kommunalpolitiker wie Japanfreunde, dass die Pandemie bald zu Ende ist, damit wieder möglichst viele Besucher in den Genuss dieser einzigartigen Stadt kommen.


[1] https://www.statista.com/statistics/1181024/japan-monthly-number-of-tourists-in-kyoto/

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