Welche Ämter werden gewählt?
Wie auch in Deutschland und vielen anderen Nationen gibt es in Japan ein Staatsoberhaupt und ein repräsentatives Staatsoberhaupt. Was in Deutschland der Bundespräsident ist in Japan der Tennō, der Kaiser. Was wiederum in Deutschland der Kanzler ist in Japan der Premierminister, der sōri daijin, kurz sōri genannt. Ersterer wird natürlich nicht gewählt, sondern durch die Erbfolge bestimmt, letzterer wird dem Gesetz nach erst vom Parlament gewählt und dann vom Kaiser vereidigt.
In der Praxis wird der Parteivorsitzende der Regierungspartei Premierminister – und der Parteivorsitzende wird von der Parteispitze, im Falle der liberaldemokratischen LDP rund 300 Mitglieder, als solcher gewählt. Die Wahl im Parlament sowie die Vereidigung durch den Kaiser sind dann nur noch Formsache.
Zweikammersystem: Ober- und Unterhaus
Der größte Unterschied liegt anderswo, denn während Japan vor über 150 Jahren das Polizei- und Militärwesen Preußens zum Vorbild nahm, richtete man sich in Sachen politisches System mehr nach Großbritannien. Konkret übernahm man von dort das Zweikammersystem, das es zwar auch in Deutschland gibt, allerdings mit Bundestag und Bundesrat in einer anderen Form.
Das Unterhaus
Das shūgiin, meistens als Unterhaus, Repräsentantenhaus oder Abgeordnetenhaus bezeichnet, hat knapp 500 Mitglieder, die alle vier Jahre vom Volk gewählt werden. Dass das Ende der vierjährigen Legislaturperiode jedoch wirklich erreicht wird, ist äußerst selten und geschah zuletzt 1976 – meistens wird es aus diversen Gründen vorzeitig aufgelöst. So auch 2021, da der damalige Premierminister Suga Yoshihide nicht mehr zur turnusgemäßen Wahl des Parteivorsitzenden zur Verfügung stand.
Das Oberhaus
Das Oberhaus heißt sangiin, das “Haus der Räte” oder Senat. Im Gegensatz zum Unterhaus kann das Oberhaus nicht aufgelöst werden. Geht es um Gesetzgebung, ist das Oberhaus schwächer als das Unterhaus: Stimmt man bei der Unterzeichnung internationaler Verträge, bei der Premierministerwahl oder bei Budgetfragen nicht überein, bestimmt das Unterhaus, wie es weitergeht. Bei der Gesetzgebung, die von beiden Kammern veranlasst und verabschiedet wird, kann das Unterhaus bei Meinungsverschiedenheiten mit einer Zweidrittelmehrheit das Oberhaus überstimmen.
Bei den Mitgliedern des Oberhauses wird es etwas kompliziert, denn hier werden alle drei Jahre jeweils die Hälfte der 248 Abgeordneten gewählt, diese bleiben aber dann sechs Jahre im Amt. Richtig kompliziert wird es bei der Frage, welche Kandidaten wo und wie gewählt werden. Von den alle drei Jahre gewählten 124 Abgeordneten des Oberhauses werden 74 Abgeordnete in 45 Wahlkreisen direkt gewählt. Die verbliebenen 50 Kandidaten werden nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Das System hat durchaus seine Vorteile: So können z. B. Überhangmandate und dergleichen nicht entstehen, die Größe des Parlaments bleibt stets gleich.
Was kostet eine Kandidatur?
Ein pikantes Detail bei japanischen Wahlen ist der finanzielle Aspekt: Direktkandidaten des Unter- und Oberhauses müssen drei Millionen Yen, also rund 20.000 Euro, bezahlen, um kandidieren zu können. Je nach Stimmenzahl wird ein Teil nach der Wahl zurückerstattet. Bei den Verhältniswahlkandidaten sind es gar sechs Millionen Yen, also rund 50.000 Euro. Auch bei Kommunalwahlen sind heftige Gebühren zu entrichten.
Am “preiswertesten” sind Dorf- bzw. Stadtteilwahlen, bei denen man ab 150.000 Yen (1.200 Euro) vorschießen muss. Zum Vergleich: Wer für das britische Parlament kandidiert, ist bereits mit 500 Pfund (knapp 600 Euro) dabei.
Wer ist wahlberechtigt?
Kurz und knapp ausgedrückt: alle japanischen Staatsbürger, die 18 Jahre oder älter sind. Das ist jedoch erst seit 2016 so, bis dahin lag das Wahlalter bei (im internationalen Durchschnitt außergewöhnlich hohen) 20 Jahren. Frauen dürfen übrigens seit 1945 wählen – dafür sorgten die Amerikaner, als sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine neue japanische Verfassung aufsetzten. Bei Präfektur- und Kommunalwahlen muss man zudem mindestens drei Monate im jeweiligen Wahlbezirk gewohnt haben. Bei offenstehenden Haft- oder Bewährungsstrafen wird das Wahlrecht entzogen, ebenso bei nachgewiesenen Verstößen gegen das Wahlgesetz oder (wenn man verbeamtet ist) bei anderen bestimmten Vergehen.
Die Betonung liegt wohlgemerkt auf “japanische Staatsbürger”: Ausländer, auch jene mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung, dürfen an keiner Wahl teilnehmen – auch nicht die koreanischstämmigen Inhaber einer speziellen Aufenthaltsgenehmigung, die seit Generationen in Japan leben.
Das ist allerdings auch in Deutschland der Fall, zumindest wenn es um Nicht-EU-Bürger geht. Doch selbst EU-Bürger dürfen lediglich an der Europawahl teilnehmen, nicht aber bei Bundestags- oder Kommunalwahlen, obwohl letzteres eigentlich von der EU so vorgesehen war.
Wahlbeteiligung ein Recht, keine Pflicht
In Japan ist die Wahlbeteiligung weiterhin ein Recht und keine Pflicht – auch in diesem Punkt sieht die Lage in Deutschland und Japan gleich aus. Bei den Unterhauswahlen 2017 lag die Wahlbeteiligung im Übrigen bei 53,6 %, bei den Oberhauswahlen 2019 sogar nur bei 48,7 %. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2021 gaben 76,6 % der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
Wer darf gewählt werden?
Im Prinzip jeder, insofern man japanischer Staatsbürger ist. Wer für das Oberhaus kandidieren möchte, muss jedoch mindestens 30 Jahre alt sein, für das Unterhaus 25 Jahre. Bei Kommunalwahlen reicht die Volljährigkeit, sprich 20 Jahre oder älter. Bei bestimmten Vergehen, wie nachgewiesener Korruptionsfälle oder Verstöße gegen das Wahlgesetz, können vor allem Beamte von der Kandidatur ausgeschlossen werden.
Welche Parteien stehen zur Wahl?
In Japan gibt es eine Vielzahl, sowie eine ständige Umsortierung und Neubildung von Parteien. Das geht mitunter so schnell, dass so mancher Wähler den Überblick verliert. Doch es gibt auch feste Größen: Die Liberaldemokratische Partei (LDP) ist mit nur zwei kurzen Unterbrechungen seit 1955 Regierungspartei, und das in der Regel auch noch mit einem saftigen Vorsprung. Ergebnisse von 50 % und mehr sind nicht selten.
Trotzdem holt sich die LDP gern die Kōmeitō (eine Partei, die eng mit der buddhistischen Sekte Sōka Gakkai in Verbindung steht) ins Boot, um so eine für die Gesetzgebung erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Damit sind die Oppositionsparteien weitgehend machtlos – sie können im Parlament noch so viel diskutieren, durchgeboxt werden die Vorhaben der LDP trotzdem.
Eine Besonderheit der politischen Kultur Japans sind die Politikerdynastien. Asō Tarō zum Beispiel, Ex-Premierminister und politisches Urgestein, ist Politiker der fünften Generation, und das ist keine Seltenheit. Auch der amtierende Premierminister Kishida Fumio ist Politiker der dritten Generation. Durchaus gängig ist dabei das “Vererben” des Wahlkreises eines Politikers an die eigenen Sprösse – eine Praxis, die man in Japan mit Skepsis sieht und abschaffen möchte, doch das Vorhaben ist bisher immer am Widerstand der betroffenen Politiker gescheitert.
Intransparenz und Vetternwirtschaft
Bis in die 1980er zweifelten ausländische Politikwissenschaftler:innen die japanische Demokratie an, denn undemokratische Gebräuche waren keine Seltenheit – dazu zählte der Stimmenkauf, aber auch die regionale Praxis der “Stimmempfehlungen” an Dorfbewohner:innen (die dann in der Regel auch befolgt wurden). Im Gegenzug wurde den Dorfoberhäuptern gerne das eine oder andere Wahlversprechen gegeben.
Man hatte zwar somit freie Wahlen, doch in Wahrheit bestimmten persönliche Beziehungen und das „Eine Hand wäscht die andere”-Prinzip. Diese Praktiken wurden stark kritisiert und mit dem Begriff seiji to kane (“Politik und Geld”) gebrandmarkt. Die Gesetze zur Parteienfinanzierung wurden seitdem mehrfach verschärft, doch “Politik und Geld” sind noch immer ein Thema, das die Schlagzeilen beherrscht.
Gewählte Abgeordnete, ganz ohne Wahl
Ein japanisches Phänomen (oder auch Problem, wenn man so will), bei den Kommunalwahlen ist die hohe Anzahl der “Durchläufer” – Kandidaten, die zwar von keinem gewählt werden, aber dennoch einen Posten erhalten. Das geschieht vor allem dann, wenn es keinen Gegenkandidaten gibt. Bei den landesweiten Präfekturwahlen 2019 (ähnlich der Landtagswahlen) waren 2.277 Sitze in insgesamt 945 Wahlbezirken zu besetzen. 612 dieser Sitze wurden von solchen Durchläufern besetzt – mit anderen Worten, mehr als jeder Vierte dieser Abgeordneten rutschte, ganz ohne Wahlergebnis, in das Amt. Das deutet auf ein ernsthaftes Problem: Denn der Beruf des Politikers scheint in Japan nicht sonderlich attraktiv, was (neben der verhältnismäßig niedrigen Wahlbeteiligung) auf eine allgemeine Politikverdrossenheit oder zumindest Desinteresse in der Bevölkerung hinweist.
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