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Japan und Taiwan: Ein koloniales Erbe, das verbindet

Isabelle Kullat
Isabelle Kullat

Von 1895 bis 1945 war Taiwan eine Kolonie Japans. Doch statt an die Härten dieser Zeit zu erinnern, haben viele Taiwaner ein fast ehrfürchtiges Gedenken an diese Ära. Es ist schwer vorstellbar: Wie kann aus einer Zeit der kolonialen Besatzung eine freundschaftliche Beziehung entstehen?

Die Taipeh Sakaemachi-dori, derzeit Hengyang Straße, im Jahr 1930. Sakaemachi wurde auch als Ginza von Taiwan bezeichnet, nach dem florierenden, trendigen Viertel von Tōkyō und die Bauten im ähnlichen Stil gestaltet. © Chronicle of World History / Alamy Stock Photo

Anders als in China oder Südkorea, wo die japanische Besatzung mit Bitterkeit betrachtet wird, empfindet man in Taiwan eine gewisse Nostalgie. Doch warum ist das so? Vielleicht liegt es daran, dass die Japaner die Insel modernisierten: Sie bauten Eisenbahnen, gründeten Schulen, schufen Krankenhäuser. Viele Taiwaner sahen in der japanischen Herrschaft eine Zeit des Fortschritts – eine Zeit, in der Taiwan in die Zukunft geführt wurde. Dieser Gedanke mag befremdlich klingen, aber im Vergleich zur darauffolgenden Herrschaft der Kuomintang (KMT), die von Unterdrückung und Gewalt geprägt war, erscheint die japanische Kolonialzeit im Rückblick als positiv.

Politik im Schatten Chinas

Natürlich spielt die Beziehung zu China immer eine Rolle, wenn man über Taiwan spricht. Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und strebt danach, die Insel wieder unter seine Kontrolle zu bringen, während Taiwan auf seine Unabhängigkeit besteht. Diese Spannung reicht bis in die Zeit des chinesischen Bürgerkriegs (1927-1949) zurück, als die nationalistische Kuomintang nach ihrer Niederlage gegen die Kommunisten 1949 nach Taiwan floh und dort eine eigene Regierung gründete, während die Kommunisten unter Mao Zedong auf dem Festland die Volksrepublik China (VR China) etablierten.

Auf der Insel errichtete die Kuomintang unter Chiang Kai-shek eine autoritäre Regierung und betrachtete Taiwan als vorübergehendes Rückzugsgebiet, um eines Tages das chinesische Festland zurückzuerobern. Bis in die 1980er Jahre blieb die Insel unter KMT-Herrschaft, bevor es sich allmählich demokratisierte. Offiziell trägt Taiwan deshalb weiter den Namen „Republik China (ROC)“, obwohl Taiwan heute politisch und wirtschaftlich unabhängig von der Volksrepublik agiert. China droht immer wieder mit militärischen Maßnahmen, sollte Taiwan formell seine Unabhängigkeit erklären, während Taiwan seinerseits um internationale Anerkennung kämpft. Nur noch 12 Länder (darunter bspw. der Vatikanstaat) erkennen Taiwan als unabhängigen Staat an. Viele westliche Nationen, darunter die USA, Deutschland und Japan, unterstützen Taiwan jedoch wirtschaftlich und sicherheitspolitisch, ohne es formell anzuerkennen.

Der Präsidentenpalais in der Hauptstadt Taipeh. Das Gebäude wurde vom Architekten Nagano Uheiji während der japanischen Herrschaft als Büro des Gouverneurs entworfen und 1919 mit einem Kostenaufwand von 2,8 Millionen Yen fertiggestellt. © iStock.com / superjoseph

Handel und Technologie

Das kleine Land ist für viele Länder von großer Bedeutung – nicht nur wegen seiner strategisch wichtigen Lage im Asien-Pazifik-Raum, sondern auch aufgrund seiner wirtschaftlichen Relevanz als weltweit führender Hersteller von Halbleitern, die in fast allen modernen Technologien verwendet werden. Taiwan ist ein unverzichtbarer Akteur in der globalen Wirtschaft und Japan ist sein drittgrößter Handelspartner. Der Handel zwischen den beiden Ländern boomt: Ein Beispiel ist der taiwanesische Halbleiterriese TSMC, der in Japan über 20 Milliarden Dollar investiert hat. Es ist bezeichnend, dass TSMCs Projekte in Japan besser laufen als vergleichbare Projekte in anderen Ländern – wohl auch, weil sich Taiwan und Japan kulturell nah beieinander liegen. Das Unternehmen produziert Chips für viele große Technologiefirmen, darunter Apple, NVIDIA und Qualcomm. 

2021 führten Taiwan und Japan „2+2-Gespräche“ ein, bei denen hochrangige Verteidigungs- und Außenpolitiker beider Länder zusammenkommen, um über Sicherheitsfragen zu diskutieren. Japan hat aus Sicherheitsgründen ein tiefes Interesse daran, dass Taiwan stark und unabhängig bleibt. Eine Eroberung Taiwans durch China würde auch Japan direkt betreffen, sowohl sicherheitspolitisch als auch wirtschaftlich.

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Ein Band, das durch den Alltag fließt

Schauen wir uns das heutige Taiwan an: Die japanischen Einflüsse sind tief in die taiwanische Kultur eingewoben. Das taiwanische Mandarin selbst ist durchsetzt mit japanischen Lehnwörtern, und in vielen Haushalten findet man traditionelle Tatami-Matten. Im Restaurant wird zu Meeresfrüchten großzügig Wasabi serviert. Die japanische Küche ist nicht mehr wegzudenken – von Sushi-Restaurants über Ramen-Lokale bis hin zu beliebten Snacks wie Takoyaki und Mochi – ein kleines Stück Japan mitten in Taiwan. Junge Taiwaner lieben die japanische Popkultur, lernen die Sprache, um Manga im Original zu lesen, und folgen begeistert japanischen Modetrends. Historische Gebäude aus der Kolonialzeit, etwa Schulen und Bahnhöfe, prägen zudem das Stadtbild und werden oft restauriert und weiter genutzt. Auch in der Technologie und im Konsum ist Japan für Taiwan ein wichtiger Akteur: Japanische Marken wie Sony, Panasonic oder Toyota stehen für Qualität und Zuverlässigkeit. Zusätzlich ist Japan eines der beliebtesten Reiseziele. Diese Begeisterung ist gegenseitig: Sei es, um die Kultur zu genießen, oder auf eine kulinarische Reise durch die berühmten Nachtmärkte zu gehen, es überrascht nicht, dass Taiwan eines der beliebtesten Reiseziele für Japaner ist, sogar noch vor Thailand.

Taoyuan, Taiwan: Der Zhongli Xinming Night Market ist einer der beliebtesten Nachtmärkte Taiwans und bietet jeden Tag ab 17Uhr mehr als 580 Stände. © iStock.com / Jui-Chi Chan

Ein Wendepunkt in dieser besonderen Beziehung war das Erdbeben und der Tsunami, die 2011 Ostjapan erschütterten. Die Welt reagierte schockiert, aber in Taiwan ging ein tiefgreifendes Mitgefühl durch die Bevölkerung. Innerhalb kürzester Zeit sammelte das kleine Land über 20 Milliarden Yen an Spenden – mehr als jede andere Nation. Dieses Zeichen der Freundschaft wurde nie vergessen, und seither hat Japan immer wieder Wege gefunden, Taiwan zu unterstützen: Als China 2021 plötzlich aufhörte, taiwanische Ananas zu importieren, und damit versuchte, den tropischen Inselstaat wirtschaftlich unter Druck zu setzen, sprang Japan ein. In einem Akt der Solidarität kauften die Japaner tonnenweise Ananas, um den taiwanischen Bauern zu helfen. Während der Covid-19-Pandemie lieferte Japan großzügige Impfstoffspenden, als China angeblich den Zugang dazu erschwerte.

Romantisierung und Risiken

Trotz der engen kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen Taiwan und Japan gibt es kritische Stimmen, die diese Beziehung hinterfragen. Ältere Generationen, insbesondere Anhänger der Kuomintang-Partei, erinnern sich an die harte japanische Kolonialherrschaft, die ebenso von Zwangsarbeit und Repressionen begleitet wurde. Diese Gruppe empfindet weniger Nostalgie und sieht die Glorifizierung dieser Zeit kritisch. Für sie bleibt die Kolonialzeit ein schmerzhaftes Kapitel der taiwanischen Geschichte, das nicht romantisiert werden sollte. Auch die Erinnerung an Japans Kriegsverbrechen in China und Asien während des Zweiten Weltkriegs trägt bei manchen Taiwanern zu einer ambivalenten Haltung bei. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die starke Japan-Orientierung die eigene taiwanische Identität, sowie Traditionen und Kultur, zunehmend überschatten könnte. 

2024 ist das Verhältnis Taiwans zu China, Japan und der Welt weiterhin ein zentrales Thema in der internationalen Politik, insbesondere mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA und den Gouverneurswahlen in Japan. Donald Trump hat beispielsweise erklärt, dass er als Präsident im Gegenzug für den militärischen Schutz Taiwans finanzielle Gegenleistungen erwarte und bezeichnete den chinesischen Staatschef Xi Jinping als guten Freund. Während sich auch die weiterhin bestehende Kuomintang-Partei für intensivere Handelsbeziehungen mit China und den Dialog auf Grundlage des “1992-Konsenses” – dass es nur ein China unterschiedlicher Definitionen gäbe und eine künftige Wiedervereinigung offen bleibe – ausspricht, warnt die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) vor einer übermäßigen Abhängigkeit von China. Sie setzt sich für die Diversifizierung der globalen Handelsbeziehungen und eine verstärkte Kooperation mit Demokratien weltweit ein.

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