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Japans neuer Premierminister Ishiba: Woher kommt er, und was will er?

Matthias Reich
Matthias Reich

Die Liberaldemokraten haben ein neues Parteioberhaupt gewählt. In der Stichwahl setzte sich das politische Urgestein Ishiba gegen acht Bewerber:innen durch. Dadurch wurde er automatisch zum neuen Premierminister Japans. Was sind seine Ziele - und wie steht es um seinen Rückhalt in Parlament und Bevölkerung?

Japans neuer Premierminister Ishiba Shigeru bei einer Pressekonferenz im Büro des Premierministers in Tōkyō am 1. Oktober 2024.
Japans neuer Premierminister Ishiba Shigeru bei einer Pressekonferenz im Büro des Premierministers in Tōkyō am 1. Oktober 2024. © ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Photo

Die Wahl zum neuen Parteivorsitzenden war spannend. Das Hauptaugenmerk lag vor allem auf den Kandidaten Ishiba Shigeru, Takaichi Sanae und Koizumi Shinjirō. Die Hoffnung Vieler lag dabei auf dem jungen Koizumi, doch dann geschah etwas Seltsames und Denkwürdiges: Eine Meldung, dass Koizumi vorgeschlagen haben soll, die Rente ab 80 sei durchaus denkbar, machte die Runde. Die Schlagzeile wurde mehr als acht Millionen Mal geklickt und die Gerüchteküche brodelte Dabei stellte der unabhängige Faktenchecker inFact gleich klar: Die Meldung stimmt nicht.1  Koizumi ließ dazu verlauten: “Ich werde ganz bestimmt nicht sagen, dass ein Teil der Bevölkerung keinen Yen Rente erhalten soll, nachdem sie ein Leben lang dafür eingezahlt haben”. Und in der Tat: Er mag relativ unerfahren sein, aber er ist kein Idiot.

Der vermeintliche Skandal dürfte ihm dennoch geschadet haben, und so kamen die anderen heißen Anwärter Takaichi und Ishiba in die Stichwahl. Bei dieser Wahl entscheiden die Stimmen der Parlamentsmitglieder der Partei – sie machen ein Drittel der Gesamtstimmen aus – sowie die Wahl der Parteimitglieder, zwei Drittel der Stimmen aus. Bei der Gesamtwahl lag Takaichi bei den Abgeordneten mit 72 zu 46 Stimmen ganz klar vorn. Auch bei den Parteimitgliedern war sie beliebter – hier allerdings mit nur einer Stimme Abstand zu Ishiba. Da kein Kandidat die absolute Mehrheit errang, ging es in die Stichwahl zwischen den Beiden. Das Ergebnis war überraschend: Mit 189 zu 173 Stimmen holte Ishiba letztlich die Mehrheit der Abgeordnetenstimmen; auch bei den Parteimitgliedern führte er.

Das geringere Übel?

Diese scheinbare Kehrtwende hatte einen Grund: Ishiba fehlt seit langem der Rückhalt bei den Abgeordneten. Er hat keine eigene, starke Faktion und in manchen Dingen eine Meinung, die anderen nicht schmeckt. Dementsprechend war eine Mehrheit im ersten Durchgang für Ishiba kaum möglich. Die Alternative bei der Stichwahl war jedoch Takaichi Sanae – eine stramm rechte Politikerin, die salopp gesagt erstmal die japanische Außenpolitik in einen Scherbenhaufen verwandelt hätte. Doch Japan hat andere Probleme, als sich mal wieder mit China und Südkorea anzulegen, was bei vielen Abgeordneten die Meinung reifen ließ, dass Ishiba das geringere Übel sei.

Der 68-jährige war vormals Hauptgeschäftsführer der Liberaldemokraten sowie Verteidigungsminister und trat bereits zum fünften Mal zur Wahl zum Parteivorsitzenden an. Zu seinen Wahlversprechen gehören die spürbare Anhebung von Mindestlöhnen, die Erschaffung eines Katastrophenschutzministeriums, die Stärkung der ländlichen Regionen und eine Reform der skandalgeplagten Partei. Er gilt und galt schon immer als einer der größten Kritiker des früheren Premierminister Abe Shinzō, vor allem aber dessen Wirtschaftspolitik, der sogenannten Abenomics.

Die Wahl von Ishiba zum Premierminister löste erstmal ein kleines Erdbeben an der japanischen Börse aus: Beim nachher “Ishiba-Schock” genannten Ereignis verlor der Aktienindex Nikkei-225 knapp 5 %, denn die Wirtschaft und das Kapital hatten sich schon auf die kapitalfreundlichere Takaichi eingestellt.

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Ein chaotischer Start

Die ersten Tage im Amt kann man dabei getrost als chaotisch bezeichnen. Seit er vom Parlament am 1. Oktober zum Premierminister ernannt wurde, kommen von ihm Signale, die mitunter im Widerspruch zu seinen Wahlversprechen stehen. War er vor seiner Wahl noch gegen vorgezogene Neuwahlen, so rief er für alle überraschend genau diese aus. Das Unterhaus wird dementsprechend noch in diesem Monat aufgelöst und am 27. Oktober neu gewählt. Das mag mehrere Gründe haben – so scheint Ishiba große Schwierigkeiten dabei zu haben, sein Kabinett zusammenzustellen. Anstatt die Partei zu einen und höhere Posten an die verschiedenen Faktionen zu verteilen, wählte er fast nur Vertraute aus seinem Lager. Am 3. Oktober legte Ishiba an anderer Stelle nach: Während die Wirtschaft seit langem auf eine weitere Anhebung des Leitzinses hofft, warnte Ishiba plötzlich vor genau diesem Schritt und jagte den japanischen Yen weiter in den schon ziemlich tiefen Keller. All diese Dinge werden im Volk negativ wahrgenommen und sorgen bereits dafür, dass die Zustimmungsrate von momentan 51 % die niedrigste eines neuen Premierministers ist.

Große Überraschungen wird es bei den Unterhauswahlen sicher dennoch nicht geben, denn Ishiba ist – zumindest noch – beim Volk beliebter als sein Vorgänger Kishida Fumio, und die Liberaldemokraten haben bereits jetzt eine satte Mehrheit im Unterhaus, zumal eine starke oder gar vereinte Opposition in weiter Ferne liegt. Und dennoch: Die unklaren Signale von Ishiba verheißen nicht allzu Gutes, und der fehlende Rückhalt wird bedeuten, dass das neue Kabinett, mehr mit der eigenen Partei als mit Regierungsarbeit beschäftigt sein wird. So gesehen bleibt also wohl alles beim Alten.


1 https://infact.press/2024/09/post-23867/

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