Die Noto-Halbinsel: Ein Jahr nach dem schweren Erdbeben

Matthias Reich
Matthias Reich

Am 1. Januar 2024 wurde die Noto-Halbinsel von einem schweren Erdbeben zu weiten Teilen zerstört. Über 200 Menschen starben, fast 30.000 Häuser teils oder ganz beschädigt und mehr als 12.000 Menschen mussten in Notunterkünften untergebracht werden. Wie sieht es ein Jahr später aus?

Das Neujahrsbeben auf der vergleichsweise spärlich besiedelten Noto-Halbinsel erzeugte Bilder, die die meisten Japaner:innen zwar von früheren Erdbebenereignissen kennen, doch sie sind deshalb nicht weniger schockierend. Für einige Bewohner:innen der Tōhoku-Region, aber auch von Kōbe, waren die Nachrichten re-traumatisierend, erinnerten sie doch stark an die verheerenden Katastrophen von 2011 beziehungsweise 1995. Von einem kleinen, aber dennoch zerstörerischen Tsunami bis hin zu völlig niedergebrannten Innenstädten wurde auf der Noto-Halbinsel – mal wieder – die volle, grausame Kraft der Natur offensichtlich.

Erwartungsgemäß stellte das Noto-Beben die Behörden sowie die Bevölkerung vor riesige Probleme: Ein großer Teil der Infrastruktur war zerstört, und das schloss nicht nur Straßen ein, sondern auch Strom-, Gas- und Wasserleitungen. Zeitweise waren bis zu knapp 45.000 Haushalte ohne Strom sowie rund 135.000 Haushalte ohne Wasser. Das ist für eine Gegend, die zu einem guten Teil vom Tourismus lebt, besonders verheerend, denn selbst viele Monate nach dem Beben konnte ein großer Teil des Hotelgewerbes die Arbeit nicht wieder aufnehmen – mit allen Begleitfolgen: Erst bleiben die Gäste aus, dann wandert das Personal ab. Selbst wenn Restaurants und Hotels wieder den Betrieb aufnehmen können, haben sie also mit einem extremen Fachkräftemangel zu kämpfen.

Schleppender Wiederaufbau

Der Wiederaufbau gestaltete sich von Anfang an schwierig: Viele Orte sind nur durch eine einzige Straße mit dem Rest der Welt verbunden, und diese Straßen wurden oft verschüttet oder weggespült. Ohne ein funktionierendes Straßennetz kann man jedoch nicht mit der Reparatur der wichtigen Leitungen beginnen. Hinzu kommen die Trümmerberge: Auch für deren Beseitigung braucht man funktionierende Straßen – und eine schnell arbeitende Bürokratie, vom Abrissgewerbe ganz abgesehen. Der Abriss eines Hauses ist in Japan zwar teuer, doch betroffene Hausbesitzer:innen können eine staatliche Finanzierung beantragen. Bis zum Ende des Jahres 2024 wurden so gut 14.000 Objekte abgerissen. Geschätzt wird jedoch, dass dies nur knapp die Hälfte der abzureißenden Bausubstanz darstellt.[1] Die Arbeiten wurden zudem durch eine weitere Naturkatastrophe erschwert – durch massive Regenfälle vom 20. bis zum 22. September 2024 (an manchen Orten fiel bis zu 500 mm Regen) gab es erneut starke Zerstörungen und zahlreiche Todesopfer zu beklagen. Sie sorgten erneut für mehr als 1.000 dauerhafte Evakuierungen.

WAfima Morgenmarkt nach dem ErdbebenErdbeben auf der Noto-Halbinsel an Neujahr: Was diese Katastrophe so außergewöhnlich machtDas Erdbeben vom 1. Januar 2024 auf der am Japanischen Meer gelegenen Noto-Halbinsel forderte Dutzende Menschenleben und zerstörte Infrastru...17.02.2024

Beschleunigter Bevölkerungsrückgang

Ein Jahr nach dem Erdbeben ist immerhin die Wasserversorgung wiederhergestellt. Auch der Strom fließt wieder, wenn auch zwei von fünf Hauptleitungen noch immer unbrauchbar sind. Die komplett niedergebrannte Altstadt von Wajima ist nahezu vollständig vom Schutt befreit – die Grundvoraussetzung für einen kompletten Neustart. Doch im vormals beliebten Erholungsort Wakura Onsen mit seinen ehemals dutzenden Ryokan-Herbergen und Hotels sind heute nur vier Einrichtungen in der Lage, Gäste zu beherbergen.

Der Wiederaufbau der Region ist ein Problem – die beschleunigte Entvölkerung der strukturschwachen Region ein ganz anderes. Am Tag des Bebens wohnten gut 55.000 Einwohner:innen im zur Präfektur Ishikawa gehörenden Teil der Halbinsel – 10 Monate später waren es nur noch 51.000 Menschen, was einen Rückgang von 7,5 % in weniger als einem Jahr bedeutet[2]. Schon vorher hatte die Region, wie fast alle ländlichen Regionen Japans, mit Bevölkerungsschwund und Überalterung zu kämpfen. Doch der schleppende Wiederaufbau, die vermehrte Häufung von Naturkatastrophen und das Wegbrechen ganzer Wirtschaftszweige leiteten einen wahren Exodus ein, von dem sich die malerische Halbinsel nur schwer erholen kann. Obwohl aufgrund des oberflächennahen Epizentrums verhältnismäßig begrenzt, hat das Erdbeben vom 1. Januar 2024 so tiefe Wunden in die Region gerissen, und diese Wunden sind innerhalb eines Jahres nicht zu heilen.


[1] Offizielle Zahlen der Präfektur Ishikawa von Dezember 2024, siehe hier: https://www.pref.ishikawa.lg.jp/kankyo/suidou/documents/kouhyousiryou0115.pdf

[2] Siehe hier: https://www3.nhk.or.jp/news/html/20250101/k10014683631000.html

Kommentare

Diese Woche meistgelesen

Top Stories

Autoren gesucht

Lesen Sie hier, wie Sie Teil unseres Teams werden!