Bei Touristen als Souvenir beliebt, sind sie für viele einfach nur ein lästiges Ärgernis: hanko (判子), die typischen japanischen Stempel, die tagtäglich millionenfach mit roter Tinte, shuniku (朱肉) genannt, aufgedrückt werden.
Die Stempelkultur hat Tradition
Glaubt man den Archäologen, so wurde schon vor mehr als 5.000 Jahren gestempelt. Und es ist eine wahre Wissenschaft für sich. Es gibt verschiedene Stempelformen (ovale für Personen, runde und rechteckige für Firmen und Organisationen, oder zur Bestätigung durch Personen). Es gibt verschiedene Stempelmethoden – zum Beispiel wariin, bei dem man einen Stempel auf zwei nebeneinanderliegende Blätter drückt, um die Zugehörigkeit der Blätter zu beweisen. Es gibt feste Regeln – ist zum Beispiel mehr als ein Drittel des äußeren Ringes zerstört, wird der Stempel ungültig.
Ja, es gibt sogar eine regelrechte Stempeletikette. Setzt man zum Beispiel seinen Stempel neben den seines Vorgesetzten, dreht man ihn leicht nach links (das soll eine Verbeugung andeuten) und setzt ihn etwas unterhalb. Und: Stempel sind rechtlich bindend. Ohne Stempel verliert man die Macht über sein Bankkonto, Verträge können ungültig werden und so weiter und so fort. In Firmen werden Stempel auch für Laufzettel benutzt: Vom untersten bis zu (fast höchsten) Angestellten wird auf einem Papier mit dafür vorgesehenen Feldern gestempelt, um damit seine Kenntnisnahme und Zustimmung zu bezeugen.
Stempelwahnsinn
Doch gerade in der Zeit von Corona wurde deutlich, wozu dieser Stempelwahnsinn führt. Entgegen den Aufrufen der Regierung, möglichst im Home Office zu arbeiten, sahen sich viele Angestellte gezwungen, sich ins Büro zu begeben – wie sonst würden sie all die Dokumente stempeln können?
Die Stempelei ist schlichtweg ein analoges Artefakt aus der Papierzeit und ein Anachronismus, der neuartige Konzepte wie das „Paperless Office“ unmöglich macht. Beispiel Akquise: Viele Institutionen wie zum Beispiel Schulen, aber auch etliche Firmen, haben feste Regeln, wenn es um Materialbeschaffung geht. Nicht selten verlangen sie dann von ihren Partnern, dass unter jeder Rechnung ein Originalfirmenstempel, manchmal sogar der Stempel des Firmenchefs, prangt. Das ist völliger Blödsinn: Ob eine Rechnung gestempelt ist oder nicht hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit des Dokuments. Aber aufgrund solcher Regelungen ist es zum Beispiel nicht möglich, „mal eben etwas auf Amazon zu bestellen“ – kein Stempel, kein Geschäft.
Dass es auch anders geht, beweisen die zahlreichen ausländischen Firmen in Japan. Natürlich haben auch die ihre Firmenstempel – ohne den kann man schließlich keine Niederlassung registrieren – aber im Allgemeinen gehen die Angestellten wesentlich sparsamer mit der Stempelfarbe um.
Kein leichter Abschied
Hier wittert nun die IT-Branche ein Geschäft. Seit geraumer Zeit flimmert ein Werbespot im japanischen Fernsehen, in dem ein trauriger hanko in Menschengröße, mit angedeutetem Schnauzer wohlgemerkt, vom Manager erklärt bekommt, dass er nun nicht mehr vonnöten sei – dank digitaler Signaturen. Ein Wunschtraum des Wirtschaftsministeriums und vieler großer Unternehmen, doch so leicht wird der Stempelentzug nicht werden. Es regen sich durchaus Stimmen, die die Beibehaltung fordern, da es sich hier um ein traditionelles Kulturgut handelt. Zudem darf man nicht vergessen, dass 99,7 % der japanischen Firmen kleine bis mittelgroße Firmen sind, und die haben nicht das Know-how – oder den Willen – sich mit digitalen Signaturen und anderen Alternativen auseinanderzusetzen.
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