Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Todesstrafe in Japan

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Japan ist neben den USA die einzige westliche Demokratie, die noch immer die Todesstrafe vollstreckt. Seit Beginn der Abe-Regierung wurden 21 Todeskandidaten gehängt. Wegen der Qualen bis zur Vollstreckung kritisiert Amnesty International das System als brutal und menschenverachtend.

Zeichnung: Transport zur Hinrichtung
Das System der Todesstrafe reicht weit in Japans Geschichte zurück. Während die Todesstrafe phasenweise eingeschränkt wurde, wurde sie in der Kamakura-Periode mit brutalen Mitteln vollzogen. (c) J.M.W. Silver Public domain

Hakamada Iwao (袴田巌) hält einen traurigen Rekord. Der ehemalige Leichtgewicht-Boxer verbrachte 46 Jahre unschuldig in der Todeszelle, mehr als je ein anderer Todeskandidat in der Welt. Im September 1968 war er zum Tode verurteilt worden. Ihm wurde vorgeworfen, seinen Boss, dessen Frau und zwei seiner Kinder erstochen zu haben. Als sein Fall 2014 aufgerollt wurde, bewiesen DNA-Beweise seine Unschuld. Er kam unmittelbar auf freien Fuß. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die grausamen Umstände seiner Vernehmung: Er war insgesamt 264 Stunden verhört worden, bis zu 16 Stunden am Stück, durfte weder auf die Toilette, noch bekam er Wasser zum Trinken. Nach 23 Tagen hatte er schließlich die ihm vorgeworfenen Morde gestanden.

Die Geschichte der Todesstrafe in Japan

Die Wurzeln der Todesstrafe in Japan reichen zurück in das 4. Jahrhundert, als das Land, beeinflusst von China, ein System aus differenzierten Strafen für bestimmte Taten einführt, darunter auch die Todesstrafe. Mit dem Siegeszug des Buddhismus werden grausame Strafen in der Folge immer seltener vollzogen, bis die Todesstrafe dann während der Heian-Periode (794 bis 1185) für 300 Jahre ganz ausgesetzt wird. Doch in der folgenden Kamakura-Periode (1185 bis 1333) werden die Strafen dann umso brutaler: Verbrennungen, Übergießen mit heißem Wasser, Kreuzigungen oder Vierteilungen sind an der Tagesordnung. Diese Methoden werden erst 1871 mit der Reformation des Strafkatalogs beendet: Die Folter und das Auspeitschen werden abgeschafft und die Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt wird, eingegrenzt. Ab 1873 wird Todesstrafe durch Köpfen oder Hängen vollzogen. Seit 1945 ist der Tod durch den Strang gängige Praxis.

Strang zur Vollziehung der Todesstrafe
Seit 1945 wird die Todesstrafe in Japan ausschließlich durch den Strang vollzogen. (c) CC BY-SA 2.0 Flickr

Die heutige Situation

Es gibt in Japan eine Reihe von Kriterien für das Verhängen der Todesstrafe. Ganz oben auf der Liste steht das Ausmaß der Brutalität. So haben die Angeklagten in der Regel mehr als einen Menschen getötet und gingen äußerst grausam vor. Aber auch das Alter des Täters, seine Vorstrafen sowie seine Tateinsicht und Reue spielen eine Rolle. Hinzu kommen so schwer greifbare Kriterien wie die Frage, ob die Hinterbliebenen des Opfers dem Täter verzeihen können. Verhandelt werden die Prozesse vor einem neunköpfigen Schöffengericht, dem drei professionelle Richter vorsitzen. Die gängige Beweisführung ist ein immer wieder angeführter Kritikpunkt. Tatverdächtige können bis zu 23 Tage in Polizeigewahrsam genommen werden, wo sie ohne einen Anwalt bis zu zwölf Stunden täglich verhört werden können. Es gibt Berichte von physischen Misshandlungen, Schlaf-, Wasser und Nahrungsentzug. Diese brutalen Verhörmethoden sind in Japan Gang und Gäbe und führen dazu, dass die Geständnisquote bei 95 Prozent liegt, was Amnesty International immer wieder anprangert.

Im ganzen Land gibt es sieben Gefängnisse, die über eine Todeszelle verfügen: Tōkyō, Ōsaka, Nagoya, Sendai, Fukuoka, Hiroshima und Sapporo. Für die Todeskandidaten gelten hier besondere Regeln. Sie befinden sich in Isolationshaft, dürfen weder mit Mitgefangenen noch mit den Wärtern reden, und auch ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Fernsehen ist verboten, der Besitz nur dreier Bücher ist erlaubt. Oft müssen sie den ganzen Tag in einer bestimmten Haltung sitzen. Die Zelle wird videobewacht und das Licht auch nachts nicht ganz ausgeschaltet. Besuche sowohl von der Familie als auch von den Anwälten werden nur selten genehmigt. Zu den inhumanen Haftbedingungen kommt, dass die Todeskandidaten jeden Tag erneut mit ihrer Hinrichtung rechnen müssen. Das treibt viele in den Wahnsinn.

Zwischen Todesurteil und Vollzug vergehen sechs bis 20 Jahre. Der Hinrichtungsbefehl ergeht vom jeweiligen Justizminister und muss dann binnen fünf Tagen vollstreckt werden. In der Regel erfahren die Todeskandidaten am Morgen, nur wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung, von der Vollstreckung. Ihnen bleiben dann noch ein letztes Mahl und ein Gebet. Die Familie, die Anwälte wie auch die Öffentlichkeit werden erst nach Vollzug unterrichtet. Bei der Hinrichtung selbst sind nur der Anstaltsleiter und ein Vertreter der Staatsanwaltschaft anwesend. Der Häftling wird mit verbundenen Augen auf eine Falltür gestellt. Im Nebenraum betätigen drei Vollzugsbeamte auf Kommando gleichzeitig einen Knopf, von dem nur einer die Falltür öffnet. So wird vermieden, dass einer der Beamten klar für den Tod verantwortlich ist. Es soll die psychische Belastung der Wärter verringern.

Eine vieldiskutierte Thematik

Auch dank Fällen wie dem von Hakamada Iwao, der nach vier Jahrzehnten schließlich als Unschuldiger auf freien Fuß kam, gibt es immer wieder Diskussionen um die Todesstrafe. Umfragen ergeben jedoch in regelmäßigen Abständen, dass die große Mehrheit für sie votiert. Eine Diskussion hat die damalige Justizministerin Chiba Keiko 2009 angestoßen, als sie erstmals Einblick in die Todeszellen und Hinrichtungskammern gewährte. 2010 unterzeichnete Chiba dennoch zwei Hinrichtungsbefehle und nahm selbst an deren Vollstreckung teil. Auch vor dem Hintergrund der internationalen Kritik gibt es immer wieder Diskussionen über die Todesstrafe.

Allerdings spielte der Saringasanschlag auf die U-Bahn in Tōkyō 1995 den Befürwortern der Todesstrafe in die Hände. Sie wollen die Täter hängen sehen. Mittlerweile wurden alle 13 Mitschuldigen der verantwortlichen Aum-Shinrikyō-Sekte zum Tode verurteilt. Der Vollzug steht nun an. Die Juristenvereinigung Japan Federation of Bar Association setzt sich dennoch für die Abschaffung der Todesstrafe bis zu den Olympischen Spielen 2020 ein. Von 1945 bis Ende 2016 zählt Amnesty International in Japan 692 Gehenkte, in der großen Mehrzahl Männer. Ende 2016 saßen 129 Menschen in den Todeszellen. Allein seit dem Amtsantritt von Abe Shinzō Ende 2012 wurden 21 Hinrichtungen (Stand Dezember 2017) vollstreckt. Begnadigungen werden sehr selten gewährt, und wenn, dann nur aufgrund von Krankheit oder fortgeschrittenem Alter.

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