Sexuelle Belästigung – MeToo auf Japanisch

Christiane Süßel
Christiane Süßel

In Japan entbrannte die Diskussion um sexuelle Belästigung von Frauen zu Beginn der 90er Jahre erstmals. Das Phänomen wurde lange als sekuhara (aus dem Englischen: sexual harassment) diskutiert. Aber auch die aktuelle MeToo-Debatte hat neue Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt.

Sexuelle Belästigung von Frauen ist auch in Japan ein viel diskutiertes Phänomen. Die Hashtag-Bewegung MeToo lenkte auch in Japan neue Aufmerksamkeit auf das Thema.
Sexuelle Belästigung von Frauen ist auch in Japan ein viel diskutiertes Phänomen. Die Hashtag-Bewegung MeToo lenkte auch in Japan neue Aufmerksamkeit auf das Thema. ©Prentsa Aldundia / flickr CC BY-SA 2.0

Die weltweite MeToo-Debatte kam 2017 ins Rollen. Im Herbst 2017 warfen zahlreiche Frauen dem US-Filmproduzent Harvey Weinstein vor, sie sexuell belästigt zu haben. Er vergebe Rollen nur über seine Besetzungscouch, war die Anschuldigung, die bereits lange zuvor kursierte. Weinstein tatschte die Frauen an und zwang sie oftmals zu sexuellen Handlungen. Als die ersten Frauen mit den Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen, brannte das Lauffeuer schnell lichterloh. Im Internet entfesselte sich eine Diskussion unter dem Hashtag „MeToo“. Unzählige Frauen berichteten von ihren Erfahrungen, von Männern sexuell belästigt worden zu sein. Die weltweite Bewegung warf ein Schlaglicht darauf, dass viele Bereiche unserer Gesellschaft weiterhin von chauvinistischen Strukturen dominiert werden.

Auch Japan ist kein Hort für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Übergriffe, verbal wie auch handgreiflich durch Triebtäter (chikan) sind leider oft an der Tagesordnung. Da ist das vermeintlich anonyme Begrapschen in übervollen Zügen, aber auch das Herabwürdigen von weiblichen Angestellten von Vorgesetzten oder abschätziges Verhalten gegenüber weiblichen Parlamentsabgeordneten. Bereits 1989 schaffte es der Terminus sekuhara (aus dem Englischen: sexual harassment), bezeichnender Weise zum Wort des Jahres gewählt zu werden. Vorausgegangen war ein Fall, bei dem eine Frau von einem Kollegen mit sexuellen Gerüchten überzogen wurde. Der Kollege erzählte Kunden, sie veröffentliche pornografische Romane. Sie wehrte sich gegen die Beschuldigungen. 1992 bekam sie im ersten japanischen Verfahren wegen sexueller Belästigung einen Schadensersatz von umgerechnet 13.000 US-Dollar zuerkannt. Das Thema wurde fortan in mehreren Büchern diskutiert.

Um Frauen vor dem Angrapschen in übervollen Zügen zu schützen, gibt es mittlerweile Zugabteile, die für Frauen reserviert sind.
Um Frauen vor dem Angrapschen in übervollen Zügen zu schützen, gibt es mittlerweile Zugabteile, die für Frauen reserviert sind. ©Antonio Tajuelo / flickr CC By 2.0

Kritiker sagen, dass es bezeichnend sei, dass für das Phänomen ein Lehnwort aus dem Englischen verwendet werde. Das Katakana-Wort sekuhara setzt sich zusammen aus seku (sexual) und hara (harassment). Man könnte auch den japanischen Begriff seiteki iyagarase nutzen. Dass aber der ausländische Terminus benutzt werde, impliziere, dass es sich hier nicht um ein originär japanisches Phänomen handele, so einige Kritiker. Dabei sind die Geschlechterrollen in Japan enger gefasst als in vielen anderen Ländern. Im Arbeitsleben heißt das oft noch, dass Frauen ihren männlichen Kollegen untergeordnet sind, den Tee bringen und die Kollegen bedienen müssen. In der Firmenhierarchie schaffen es mehr Männer als Frauen aufzusteigen. Auch in der Politikerwelt sind Frauen unterrepräsentiert und kämpfen gegen eine männliche Übermacht. Bei feucht-fröhlichen Zusammenkünften müssen Frauen oft anzügliche Bemerkungen und Übergriffe ihrer Kollegen ertragen, und sei es nur das erzwungene gemeinsame Karaoke-Singen.

Es gibt staatliche Umfragen, bei denen mehr als die Hälfte aller weiblichen Angestellten angaben, dass in der Regel männliche Kollegen Bemerkungen zu ihrem Aussehen, ihrem Alter und ihrem Körperbau machen. Ein Drittel bestätigt, konkret sexuell belästigt worden zu sein, darunter auch der Zwang zu Sex oder unangebrachtes Begrapschen. Am häufigsten sind es männliche Vorgesetzte, die solche Handlungen vornehmen. Einmal Opfer solcher Übergriffe, schweigen über 60 Prozent der Frauen hierzu. Jene, die sich an die Öffentlichkeit wagen, rennen oft gegen Wände.

Seit 1998 gibt es ein Gesetz, das es in die Verantwortung des Arbeitgebers stellt, gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen. Es sieht vor, dass die Belegschaft dafür sensibilisiert wird, solche Übergriffe wahrzunehmen und sie anzusprechen. Es muss zudem einen objektiven Ansprechpartner innerhalb der Firma geben, an den sich Opfer vertrauensvoll wenden können. Der Arbeitsgeber ist zudem verpflichtet, den Anschuldigungen umgehend nachzugehen und solche Handlungen zu sanktionieren. Das Gesetz hat allerdings das bezeichnende Schlupfloch, dass Firmen, die hiergegen verstoßen, keine Geldstrafen fürchten müssen. Man setzt darauf, dass ein beschuldigtes Unternehmen die Schmach als Strafe empfindet. Dies hat im Gegenteil jedoch den Effekt, dass Frauen noch heftiger dazu gezwungen werden, still zu halten. Dennoch sind die Zahlen von Strafverfahren deutlich angestiegen. 2008 zählte das Gesundheits- und Arbeitsministerium mehr als 8.000 Verfahren wegen sexueller Übergriffe. Die Rechtsprechung unterscheidet dabei zwei Arten von sekuhara: 1. daisho (Schadensersatz) und 2. kankyō (Umgebung). Während bei daisho konkrete sexuelle Übergriffe und sexuelle Handlungen vorliegen, bezeichnet kankyō eine sexuell aufgeladene Stimmung mit anzüglichen Gesprächen oder Witzen wie auch das Aufhängen von pornografischen Postern.

Frauen warten auf einen „Women Only“-Wagen der Tōkyōter Keiō-Linie.
Frauen warten auf einen „Women Only“-Wagen der Tōkyōter Keiō-Linie. ©つCC3.0

2017 kochte auch in Japan die Debatte um sexuelle Belästigungen abermals hoch. Zum Gesicht der japanischen Bewegung wurde die Journalistin Ito Shiori. In ihrem Buch „Black Box“ beschrieb die junge Frau, wie sie von dem Washingtoner Büroleiter des TV-Senders TBS, Yamaguchi Noriyuki, vergewaltigt wurde. Ito beklagt nicht nur den Übergriff selbst sondern auch den immensen Druck auf sie, mit dieser Vergewaltigung nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Im April 2018 wurden zudem Anschuldigungen bekannt, wonach sich Finanzminister Asō Tarō für die Belästigungen einer Journalistin durch seinen Vizefinanzminister Fukuda Jun’ichi  verantworten musste. Der Beschuldigte wurde zwar entlassen, aber der Fall nicht umfassend aufgerollt. Egal unter welcher Überschrift – MeToo oder sekuhara: Sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es auch in Japan und auch hier gibt es die Bestrebungen, solche Übergriffe unter den Teppich zu kehren.

Ito Shiori im Interview in einer norwegischen Talkshow über ihr Buch „Black Box“, in dem sie beschreibt, wie sie von einem Vorgesetzten vergewaltigt wurde.

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