Es ist eine konfuzianistische Tugend, Älteren Respekt zu zollen. Aus diesem Senioritätsprinzip hat sich in Japan ein System geformt – das Senpai-Kōhai-Beziehungsgeflecht. Senpai (先輩) ist dabei der Ältere, höher Gestellte und Kōhai (後輩) der Jüngere oder Unterstellte. Das System basiert darauf, dass dem Älteren mehr Erfahrung zugesprochen wird und er daher die Anerkennung des Jüngeren verdient. Alter ist dabei nicht zwingend das tatsächliche Lebensalter, sondern vielmehr die Länge der Zugehörigkeit zu der Institution, der beide angehören. Ein Student im vierten Semester ist dabei einem Zweit- oder Erstsemester „überlegen“. Das gilt auch, wenn der Kōhai tatsächlich älter ist als der Senpai.
Götter, Adlige, Untergebene und Sklaven
Seinen Ursprung hat dieses System in den japanischen Kampfsportarten. Hier übernimmt der Senpai, der oft Träger eines höheren Gürtels ist, die Ausbildung der ihm Unterlegenen. Die Senpai-Kōhai-Beziehung ist vor allem in der Mittel- und Oberschule aber auch an der Universität unübersehbar. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Bildungsinstitutionen. Spielfeld dieser Beziehungen sind vor allem die Sportclubs und die Kultur-AGs der Schule oder Uni, aber sie reichen auch weit ins Berufsleben hinein. An den Unis gilt oft der Satz: „Ein Gott im vierten Jahr, ein Adliger im dritten, ein Untergebener im zweiten und ein Sklave im ersten Jahr.“
Die Senpai-Kōhai-Beziehung ist für die meisten Schüler während ihrer Schulzeit die prägende Beziehung, so eine Untersuchung von Forschenden der Waseda- und Tsukuba-Universität. Besonders die Schülerinnen und Schüler der ersten Klassen der Mittel- und Oberschulen gaben das an. Die Forschenden fanden dabei heraus, dass Mädchen diese Beziehung ernster nehmen als ihre männlichen Mitschüler. Und: Das Beziehungsgeflecht tritt in Schul-AGs mit hoher kompetitiver Ausrichtung – meist im Sport – stärker zu Tage als in etwa kulturell geprägten Clubs.
Ehrerbietung auch in der Sprache
Die Beziehung zwischen dem Senpai und seinem Kōhai ist auf den ersten Blick von Respekt und Ehrerbietung geprägt. So wird von dem Kōhai erwartet, dass er den Senpai mit dem Suffix „-senpai“ anspricht und ihm gegenüber die Höflichkeitssprache Keigo (敬語) nutzt, die sich der desu-masu-Form bedient. Der Senpai hingegen redet seinen Kōhai mit „-san“ oder „-kun“ an oder lässt den Zusatz gar ganz weg. Dieses sogenannte yobisute (呼び捨て) ist sehr unhöflich. Es wird unter Umständen erwartet, dass sich Kōhai vor ihrem Senpai verbeugen, wenn sie ihn treffen.
Anweisungen des Senpais müssen befolgt werden. Vor allem in den Sportclubs müssen Kōhai ihren Senpai Gefälligkeiten erweisen. Oft heißt das, dass ein Kōhai die Sportsachen der Älteren waschen muss, Botengänge macht oder sonstige niedere Arbeiten erledigt. Im Gegenzug nimmt der Senpai ihn unter seine Fittiche und gibt seinen Erfahrungsschatz an den Kōhai weiter und fördert ihn so. Nicht zuletzt funktioniert dieses System, weil jeder einmal im Laufe seiner Karriere die Rolle des Kōhais und Senpais übernimmt.
Senpai: Mentor oder Schikaneur
Die Beziehung ist dabei auf den zweiten Blick auch ein Geben und Nehmen. Senpai haben nicht einfach bloße Macht über den Kōhai, sondern sie empfinden ihre Aufgabe auch als Ehre und Verantwortung. Im Berufsleben wird etwa vom in der Regel besser verdienenden Senpai erwartet, dass er bei Trinkgelagen die Rechnung seines Kōhais begleicht. Dieser muss dafür seinen Senpai geduldig die Gläser nachfüllen. Aber die Senpai übernehmen auch Verantwortung. So können erfolgreiche Senpai in ihrer Firma ein gutes Wort für ihre Kōhai einlegen, diese also protegieren. Sie helfen ihren Schützlingen, sich in der neuen Firma zu orientieren und einzuleben. Das System ist so ein tradiertes und funktionierendes Mentorenprogramm.
Doch es ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt: Natürlich gibt es nicht nur ehrenvolle Senpai. Vor allem in Sportclubs in den Schulen arten Senpai-Anweisungen mitunter in Schikanen (ijime いじめ) oder Demütigungen aus. Ein Problem taucht auch dann auf, wenn ein Senpai in einer Firma ein Problem mit dem Vorgesetzten hat, dem sowohl der Senpai als auch der Kōhai unterstellt sind. Gibt der Senpai dann unpassende Kommandos muss der Kōhai ein Gespür dafür entwickeln, wie er sich am besten verhält, um nicht bei beiden anzuecken.
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