Es war einmal ein Land, in dem junge Menschen direkt von der Schule in den Beruf gingen und dort bis zum Renteneintritt blieben. Die Firma wurde zur Familie, besorgte und bezahlte auch oft Wohnraum, arrangierte manchmal gar Ehen, und sparte Geld für die Mitarbeiter auf, damit diese am 60. Geburtstag mit einer üppigen Abschlagszahlung aus der Arbeitswelt in den wohlverdienten Ruhestand wechseln konnten. Japan. Die Generation, die jetzt 60 bis 65 Jahre alt ist, profitierte von dieser weithin bekannten und üblichen Praxis.
Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Nur wenige große Unternehmen garantieren noch lebenslange Beschäftigung, und viele Japaner, leider ein globaler Trend, schlagen sich mit “irregulären” Arbeitsverhältnissen rum. Dann fehlt es auch noch am Nachwuchs, und die Menschen werden immer älter. Während sich viele mit der Betriebsrente bequem über Wasser halten konnten, sind immer mehr Menschen auf die staatliche Rente angewiesen. Da liegt jedoch einiges im Argen, denn die staatliche Rente ist nicht gerade üppig, und die Zahlungsmoral vieler, vor allem kleiner Firmen nicht sonderlich gut. Die Rentenkasse ist bereits jetzt strapaziert.
Überalterung einer Nation
Das Problem ist kein typisch japanisches Problem – nahezu überall steigt die Lebenserwartung, und dementsprechend heben immer mehr Länder das gesetzliche Rentenalter an. Auch Japan ist dabei, setzt dabei jedoch einen etwas anderen Hebel an. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der die Menschen arbeiten können, bis sie 70 Jahre alt sind – und um das zu erreichen, will man die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Konkret sollen sich alle Unternehmen im Land laut einer am 31. März 2020 vom Unterhaus verabschiedeten Gesetzesnovelle auf eine der folgenden sieben Maßnahmen festlegen:
Weiterbeschäftigung
- Aufhebung des firmeninternen Ruhestandsalters
- Verlängerung des firmeninternen Ruhestandalters
- Weiterbeschäftigung als Vertragsarbeiter
- Transfer zu einer anderen Firmen
Nicht-Weiterbeschäftigung
- Vertrag als freier Mitarbeiter
- Unterstützung für Gründung eines eigenen Unternehmens
- Unterstützung gesellschaftsrelevanter Tätigkeiten
Beschäftigungstherapie oder finanzielle Notwendigkeit?
Schon jetzt arbeiten rund 9 Millionen Japaner, die über 65 Jahre alt sind, in irgendeiner Form, und sie sind aus dem Straßenbild nicht wegzudenken. Man sieht sie als Baustelleneinweiser, oder als Einkaufswageneinsammler in Supermärkten, als Parkplatzwächter und so weiter. Nicht alle machen das, weil sie müssen, da die Rente zu klein ist – viele machen es einfach nur, weil sie nicht die ganze Zeit zu Hause hocken wollen. Doch es wird in absehbarer Zukunft immer mehr ältere Menschen geben, die arbeiten gehen, weil sie finanziell keine andere Wahl haben.
Die Ausweitung des Rentenalters hat noch weitere Konsequenzen, von denen sich bereits jetzt einige deutlich zeigen. So nimmt der Anteil der an schweren Arbeitsunfällen älterer Menschen immer weiter zu – waren es 2010 noch rund 20% bzw. unter 5.000 Unfälle, so waren es zehn Jahre später schon 35.000 Unfälle. Auch altersbedingte Verkehrsunfälle häufen sich.
Vergessene Ressourcen
Bei all den Versuchen, das Rentensystem an die demografischen Herausforderungen anzupassen, wird jedoch immer noch ein ganz wichtiges Element übersehen: und zwar rund die Hälfte, genauer gesagt, die weibliche Hälfte der japanischen Bevölkerung. Für die ist es immer noch weitaus schwerer als für Männer, ordentliche Karrieren zu verfolgen – und das womöglich auch noch mit einer eigenen Familie in Einklang zu bringen. Also bleiben noch immer viele Frauen nach der Geburt der Kinder zu Hause, oder bleiben in schlecht bezahlten Jobs hängen, mit denen sie nicht in die Rentenkasse einzahlen können – und dementsprechend auch nicht viel herausbekommen. Japan wäre gut beraten, dieses Potenzial erstmal ordentlich zu erschließen.
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