Die Achtklässler-Krankheit. Ein Phänomen, das meistens im zweiten Jahr der Mittelschule (chūgakkō) auftritt und deshalb chūnibyō genannt wird.
Eine Krankheit, die viele hatten, ohne davon zu wissen
Die Betroffenen sind der Überzeugung, spezielle Fähigkeiten zu besitzen, Dinge zu wissen, die die Welt aus den Fugen bringen könnten oder anderer Abstammung zu sein, als bisher vermutet.
Hört sich einfach nur nach Wahnvorstellungen an? Nun, hatten Sie nicht irgendwann im Leben auch einmal das Gefühl, vorhersehen zu können, wann die Ampel auf Grün wechselt? Oder Unbehagen dabei, auf die Ritzen zwischen den Betonplatten zu treten? Oder überlegt, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, dass Sie bei der Geburt im Krankenhaus vertauscht wurden?
Falls nicht, können Sie hier aufhören zu lesen – für alle anderen: Vielleicht hatten Sie auch die Achtklässler-Krankheit?!
Die Achtklässler-Krankheit in Anime & Manga
Während dieser Phase der blühenden Phantasie fühlen sich viele der Jugendlichen in der Welt der Anime & Manga gut aufgehoben – schließlich wimmelt es hier nur so von Parallelwelten, übersinnlichen Kräften und ungeahnter Verstrickungen. Auch dort treten einige Charaktere auf, die selbst an der Achtklässler-Krankheit leiden.
Deutsch in Manga & Anime: Deutsche Sprache, coole Sprache
Auch die Form der Mangas und Animes passt zur Achtklässler-Krankheit. Sicher wird dem ein oder anderen aufgefallen sein, dass in vielen Anime & Manga (mitunter auch völlig aus dem Kontext gerissen) deutsche Wörter auftauchen – sei es als Namen von Raumschiffen, Kampfattacken oder Charakteren. Warum das so ist?
Nun, die Antwort ist einfach – die deutsche Sprache hört sich einfach „cool“ an in den Ohren der Zuschauer. Besonders das „z“ oder das „ch“ sind Laute, die nicht in der japanischen Sprache vorkommen und daher einen besonderen Reiz ausüben.
Als Beispiele für zahlreich mit deutschen Wörtern, Charakteren und Hintergründen bestückte Werke sind „Neon Genesis Evangelion“, „Elfenlied“, „Attack On Titan“ oder „Kekkai Sensen“ zu nennen.
[VIDEO] Asuka aus dem Anime “Neon Genesis Evangelion” spricht Deutsch. Shinji, neben ihr, beherrscht wiederum nur ein deutsches Wort: Baumkuchen. Beide arbeiten für die Organisationen NERV und SEELE.
Ein neuer Ansatz fürs Deutsch-Lernen
Da Deutsch kein Pflichtfach mehr an den japanischen Universitäten ist und noch dazu durch Koreanisch und Chinesisch starke Konkurrenz bekommen hat, müssen sich viele Sprachschulen in Japan etwas einfallen lassen, um (vor allem junge) Lernende für die eher als langweilig und altbacken eingestufte Sprache zu begeistern.
Für einen deutschen Muttersprachler mag dieser Reiz nicht wirklich nachvollziehbar sein, doch der Ansatz, die deutsche Sprache über das Sprungbrett der Achtklässler-Krankheit chūnibyō hauptsächlich anhand der fremd und damit „cool“ klingenden Aussprache zu vermitteln, kommt hierbei erstaunlich gut an.
Achtklässler-Krankheit: Beliebtes Thema in Japan
Ein entsprechendes Event Ende 2015 der Japanisch-Deutschen Gesellschaft namens Chūnibyō de manabu doitsugo (中二病で学ぶドイツ語 „Deutsch mit chūnibyō“) war zunächst auf 40 Teilnehmer ausgelegt, erreichte jedoch so großes mediales Interesse im TV und Internet, dass die Veranstaltung in einen dreimal so großen Raum verlegt wurde und trotzdem immer noch 80 Menschen auf der Warteliste standen.
Eine Teilnehmerin zeichnete anschließend sogar einen kleinen Manga zur Veranstaltung. Nachdem im Januar ein Spin-Off in Fukuoka stattfand, ist im Frühling auch wieder eine Veranstaltung unter der Leitung von Taiichi Noby in Tōkyō geplant.
Und was genau hat es jetzt mit dieser Achtklässler-Krankheit auf sich?
Wer nach der Lektüre dieses Artikels die ganze Sache zwar faszinierend findet, aber noch nicht so recht verstanden hat, was einen „Patienten“ der Achtklässler-Krankheit eigentlich ausmacht, dem sei die auch in Deutschland käuflich erwerbliche Animeserie Chūnibyō demo koi ga shitai! 中二病でも恋がしたい! ans Herz gelegt. Sie beschreibt das Syndrom mit viel Liebe und auf sehr humorvolle Art und Weise.
Zur Autorin
Tabea Kamada arbeitet bei der Japanisch-Deutschen Gesellschaft in Tōkyō. Dort zeigt sie Deutschen in Workshops die japanische Kultur und vermittelt Japanern andersherum die deutsche Kultur und Sprache. Für JAPANIDGEST hat sie sich diesmal in die Tiefen der Psychologie begeben und stellte uns die „Achtklässler-Krankheit“ vor.
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