Einige Japanbesucher werden das Bild kennen: Obdachlose, die in Japan zum Beispiel in Unterführungen oder schmalen Gassen leben. Wer länger in Japan weilt, wird zudem schnell unterscheiden können, ob er sich in einer wohlhabenden oder weniger wohlhabenden Nachbarschaft aufhält. Da es jedoch keine Bettler gibt, und selbst ärmere Gegenden ziemlich sauber gehalten werden, fällt die Armutsproblematik in Japan weniger stark auf als anderswo.
Schaut man sich internationale Statistiken an, so liegt Japan im oberen Mittelfeld: Jeder sechste Japaner gilt als arm. Die Zahlen sehen ähnlich aus für Deutschland.
Laut japanischem Arbeits- und Wohlfahrtsministerium liegt die Armutsgrenze bei Singles in Japan bei 100.000 Yen Einkommen pro Monat, also knapp 800 Euro. In Deutschland lag die Armutsgrenze bei Singles im Jahr 2016 bei 890 Euro. Es ist also einfacher, in Japan unter diese Grenze zu fallen – Erst recht, wenn man die hohen Mieten und die enorm hohen Lebensmittelpreise bedenkt. Und natürlich sind 100.000 Yen nicht überall 100.000 Yen – wer zum Beispiel in Tōkyō wohnt, muss höhere Mietpreise zahlen.
Wer ist in Japan von Armut betroffen?
Die Verteilung folgt in Japan den üblichen Mustern. So ist Altersarmut auch in Japan ein ganz großes Thema der letzten Zeit. Problematisch sieht es auch bei Alleinerziehenden aus. Sicher, es gibt diverse Zuschüsse für Alleinerziehende, doch die sind zu mickrig, um den Betroffenen zu helfen, zumal Bildung in Japan teuer ist.
Das Resultat: 55% der alleinerziehenden Haushalte leben unterhalb der Armutsgrenze. Bei den Rentnern sieht es nicht viel besser aus: Rund 40% der Rentner sind faktisch pleite und erfüllen alle Voraussetzungen, seikatsu hogo生活保護 (Unterstützung aus öffentlichen Mitteln) zu beziehen:
- Keine näheren Verwandten, die aushelfen können
- Keinerlei Ersparnisse oder nennenswerte Besitztümer
- Krankheiten oder Verletzungen, die eine regelmäßige Arbeit unmöglich machen
- Die Summe anderer Einkünfte (Rente, Kindergeld usw.) liegt unterhalb der Armutsgrenze
Umgang mit staatlichen Hilfsgeldern in Japan
Das bedeutet, dass man wirklich nahezu alles verloren haben muss, um Hilfe zu bekommen. Die harten Regeln verleiten freilich auch in Japan gelegentlich zum Betrug: So gab und gibt es immer wieder Fälle, bei denen zum Beispiel Familien ihre verstorbenen Familienmitglieder nicht beerdigen, sondern, auf dem Papier zumindest, weiterleben lassen, um weiterhin die Rente und/oder Unterstützung zu beziehen – manchmal jahrzehntelang.
Gleichzeitig gibt es auch das andere Extrem: Menschen, die die eigene Armut als selbstverschuldet ansehen, und sich deshalb schämen, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Im Jahr 2011 waren dies immerhin 45 Menschen in Japan, und obwohl offizielle Zahlen fehlen, kann man nicht davon ausgehen, dass sich die Situation deutlich verbessert hat.
Die Tatsache, dass es Japaner gibt, die zu stolz sind, die eigene prekäre Lage anzuerkennen und Unterstützung zu akzeptieren, ist natürlich erschreckend. Noch erschreckender ist jedoch die Lage der Kinder in armen Familien, vor allem jedoch von Kindern in alleinerziehenden Haushalten. Eine Gesellschaft muss sich immer an ihrem Verhalten gegenüber den Schwächsten messen lassen, und so gesehen steht Japan hier vor einer gewaltigen Aufgabe.
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