Auch in Japan ist besonders die Gastronomie von der COVID 19-Krise betroffen. Sicher, es gibt Unterstützung vom Staat und es gab nie einen Lockdown, der die Restaurants und Bars dazu zwang, komplett zu schließen. Dennoch hat die Gastronomie zu kämpfen: In vielen Gegenden sind Restaurants angehalten, um 20 Uhr zu schließen und keinen Alkohol auszuschenken. Hinzu kommt, dass viele Japaner aus Sorge vor dem Virus Restaurants generell meiden.
Das Infektionsrisiko minimieren
Japaner treffen diese Maßnahmen besonders hart, denn man isst gern und oft außerhalb, zumal die Preise in Restaurants in der Regel recht niedrig sind. Mit den Kollegen oder mit dem Sportklub essen und trinken gehen ist ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Man tauscht sich beim Essen nicht selten rege über das Verzehrte aus. Es gibt unzählige, besonders familienfreundliche Restaurants – ein aus Amerika importiertes Konzept.
Restaurantbesitzer zerbrechen sich den Kopf darüber, wie man den Gästen höchstmöglichen Ansteckungsschutz bieten kann. Dazu gehören Acryl-Trennwände, eine Reduzierung der Plätze, eine Begrenzung der Aufenthaltszeit – und Desinfektion am Eingang und am Tisch sowieso. Das Hauptrisiko bleibt aber die Tröpfcheninfektion, und hier setzt der Trend des mokushoku (黙食, wörtlich “schweigend essen”) an. Man hält die Gäste dazu an, beim Essen zu schweigen, um so die Aerosolbildung zu verhindern. Eine Untersuchung der Toyohashi University of Technology lieferte dazu eindeutige Ergebnisse: Karaoke, gefolgt vom Besuch von Kneipen und Restaurants, stellte das höchste Risiko dar, sich zu infizieren. Isst man jedoch schweigend, ist das Risiko nur noch ein Drittel so hoch – und geringer als bei einer Fahrt in einem vollen Zug oder beim Besuch eines Supermarktes.
Schweigen als buddhistisches Konzept
Dabei ist das mokushoku, das Schweigen beim Essen, nicht gänzlich neu. Dazu sollte man jedoch anmerken, dass in Japan beim Essen durchaus gesprochen wird, und das nicht zu knapp. Die Idee, den Kindern „Schweig jetzt und iss“ zu sagen, oder jemanden mit „Beim Essen wird nicht geredet“ zurechtzuweisen, ist Japanern in der Regel fremd. Essen, erst recht gemeinsam, ist eine wichtige (und in nicht wenigen Familien die einzige) Möglichkeit zur Kommunikation. Nicht so in der wichtigsten Zen-Buddhismus-Schule Japans – der Sōtō-Sekte.
Dort besagt eine Regel, dass beim Essen, aber auch im Bad und an einigen anderen Orten, das Sprechen untersagt ist. Diese Regel ist seit mindestens 800 Jahren belegt und wird in den Tempeln noch immer befolgt. Die Idee dahinter ist simpel und hochaktuell: Man möchte das –nagara (-ながら) vermeiden. Dieses kleine Wörtchen wird normalerweise nicht allein benutzt, und es bedeutet „beim“ oder „während“, aber in diesem Zusammenhang könnte man es im Sinne des Multitasking verstehen. Sprich: Beim Essen sollen sich die Mönche auf das Essen (und die nebenher vorgelesenen Sutren) konzentrieren. Nagara ist ein wichtiges Stichwort in Japan – auch außerhalb der Tempel – seit der Verbreitung der Smartphones, denn die Unsitte, beim Laufen auf das Gerät zu starren, hat geradezu epidemische Ausmaße angenommen und sorgt für viel Ärger.
Keine Dauerlösung
Die Idee, sich beim Essen auf das selbige zu konzentrieren, um das Mahl mit allen Sinnen zu würdigen, ist an sich schlüssig, aber man kann sich sicher sein, dass das nicht auf Dauer so sein wird. Gemeinsam ein Mahl einzunehmen und dabei zu kommunizieren ist schließlich eine schöne Tradition und fest in den Herzen der Menschen verankert. Es wäre sehr schade, wenn sie verschwindet – und da wohl sehr viele Japaner so denken, wird man auch schnell wieder dahin zurückkehren.
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