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Mobbing in Japans Schulen – Wenn der Druck zu groß wird

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Mobbing ist in Japan vor allem unter Schulkindern ein Problem. Unter Umständen treibt das sogenannte ijime (いじめ) die Opfer in den Selbstmord. Experten warnen vor einem Anstieg von Mobbingfällen. Eine Analyse.

ijime Japan
Mobbing in der Schule ist ein ernsthaftes Problem, das in jüngster Zeit immer häufiger vorkommt. (c) Pakutaso

Sich gegenseitig ärgern oder miteinander rangeln ist unter Kindern und Jugendlichen in der ganzen Welt normal. Doch ijime (いじめ von 苛める oder 虐める, zu Deutsch: quälen) geht über das übliche Maß hinaus.

Ijime bedeutet, einen Schwächeren einseitig und fortgesetzt physisch oder psychisch anzugreifen, sodass das Gegenüber schwerwiegendes Leid empfindet. Meist wird ein Opfer von einer Gruppe, manchmal sogar einer ganzen Klasse gequält. Nicht selten sieht der Gequälte den eigenen Tod als einzigen Ausweg.

Es ist dabei unerheblich, ob dies in oder außerhalb der Schule geschieht, so die Definition des Kultus- und Forschungsministeriums (文部科学省, MEXT).

Oft werden ijime-Opfer von großen Gruppen schikaniert. Die große Masse schaut dabei zu, wie Einzelne gequält werden. (c) Photo AC

Alarmierend ist, dass die ijime-Fallzahlen in Japan in jüngster Vergangenheit deutlich anziehen. Im akademischen Jahr 2015 stieg die Zahl der Vorfälle laut Statistik des Kultus- und Forschungsministeriums um 36.468 auf 224.540 an.

Entwicklung des Diskurses über ijime

Ijime wird seit Mitte der 1980er Jahre in Japan als gesellschaftliches Phänomen wahrgenommen. Auslöser war eine Welle von Schülerselbstmorden. Aufsehen erregte dabei 1986 der Fall des 14 Jahre alten Shikagawa Hirofumi, der sich das Leben nahm und in seinem Abschiedsbrief erklärte, dass er die Quälereien seiner Mitschüler nicht mehr aushalten könne. Sie hatten ihn ausgelacht, erniedrigt und geschlagen.

Sein Fall wurde in den Medien diskutiert und das Problem ijime von offizieller Seite anerkannt. Das Kultus- und Forschungsministerium hat seither zahlreiche Studien zum Thema erstellt. In diesen fällt auf: Es kommt in Japan immer wieder zu Phasen, in denen ijime-Fälle sich häufen.

Warum kommt es in Japans Schulen zu Mobbing?

Prof. Shimada Shingo vom Lehrstuhl Modernes Japan an der Universität Düsseldorf erklärt den aktuellen Anstieg der Fälle von ijime mit einer sozialen Kälte, die sich in Japan immer weiter ausbreite.

Der Strukturwandel weg von regulären und hin zu irregulären Beschäftigungsverhältnissen verschärfe den wirtschaftlichen Druck und führe zu einem harschen Konkurrenzdenken. Dieser soziale Druck übertrage sich auch auf die Schülerinnen und Schüler und lasse das Mobbing extremer werden.

„Den Japanern ist das Gefühl der Sicherheit abhandengekommen“, so der Soziologe Shimada. Das schüre in den Schulen ein Klima von sozialer Kälte und physischen wie auch psychischen Kämpfen.

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Ijime wird auch als Ventil für harschen Leistungsdruck in der Schule gesehen. (c) Pakutaso

Strukturelle Gründe für ijime

Es gibt Analysen, die beschreiben, dass vor allem Kinder aus Elternhäusern, die am sozialen Rand stehen, anfällig sind, sowohl Opfer als auch Täter von Mobbing zu werden.

Überwiegend sind Jungs Täter, aber auch Opfer körperlicher Gewalt. Mädchen strafen ihre Opfer weniger mit physischer Gewalt als mit Missachtung und Ausgrenzung. Je älter die Akteure, desto heftiger der Grad der Brutalität des Quälens.

Statistiken zeigen, dass die ijime-Zahlen am häufigsten im ersten und zweiten Schuljahr der Mittelschule auftreten. Dies entspricht in Japan, in der die Grundschule sechs Jahre dauert, der achten und neunten Klassenstufe. In dieses Zeitfenster fällt einerseits der Übergang vom Kind zum Jugendlichen. Zum anderen nimmt hier im japanischen Schulsystem der Leistungsdruck enorm zu.

„Kinder müssen in dieser Übergangsphase nach dem Schulwechsel neue Freunde finden, sich neu definieren und in die Institution Schule einfügen“, erklärt Prof. Shimada. Sowohl der schulische als auch der soziale Druck ist enorm. Einige Wissenschaftler sehen ijime als aggressive Reaktion auf den Druck von oben.

„In Japan gibt es zudem feste Normalitätsvorstellungen“, so Shimada. Der Zwang normal zu sein, führe dazu, dass jede Abweichung von der Norm sanktioniert werde, erklärt er. Bei Kindern äußere sich das in Mobbing. Dabei werden Einzelne über einen langen Zeitraum bis aufs Äußerste gequält, und die Opfer behalten nicht selten ihre Demütigungen für sich.

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Ijime-Opfer stehen allein da. In den meisten Fällen reden die Opfer nicht mit Lehrern oder Eltern darüber, dass sie schikaniert werden. (c) Photo AC

Nicht schweigen: Japan stellt sich gegen ijime

Das MEXT hat reagiert: Eine Notfallnummer soll gemobbten Kindern und Jugendlichen helfen, dem Teufelskreis zu entkommen. Und auch die in Japan sehr beliebte Mädchenband Babymetal appelliert mit ihrem Hit „ijime dame zettai“ (イジメダメゼッタイ, Wir sind gegen jede Form von Mobbing) an die schweigende Masse, sich aktiv gegen Mobbing zu stellen.

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