Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Japanisches Impfsystem in der Kritik – Was ist anders?

Matthias Reich
Matthias Reich

Stammleser des JAPANDIGEST oder japanischer Medien wissen längst Bescheid: Japan hinkt in Sachen Corona-Schutzimpfungen anderen Ländern weit hinterher. Doch warum ist das so, und wie sieht es ganz allgemein mit Impfungen in Japan aus?

Impfzentrum in Japan
Impfzentrum in der Stadt Monbetsu (Präfektur Hokkaidō)

Das Coronavirus sorgt seit Anfang 2020 weltweit für Aufsehen: Überall überstürzten sich die Ereignisse, und überall wurden Politik, aber auch Forschung dazu gezwungen, schneller als üblich zu handeln. Das geht mal gut, und mal weniger gut. Mal herrscht mehr, mal weniger Chaos. Die Corona-Impfungen sind das beste Beispiel dafür. Viel schneller als üblich ermittelt fehlen die sonst üblichen Langzeitdaten, und das sorgt für viele überraschende, aber auch für viele Falschinformationen. Auch die Frage, wie die Impfung eines großen Teils der Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit vonstatten gehen soll, sorgt für zahlreiche Probleme.

Impfskepsis in Japan – ein Spiegelbild der GesellschaftBis Februar 2021 waren Corona-Impfungen noch ein abstraktes Thema - es gab weder einen zugelassenen Impfstoff, noch ausführliche Resultate d...10.06.2021

Das ist in Japan nicht anders als in Deutschland oder den USA. Doch es gibt zwei wichtige Unterschiede: Denn einerseits war Japan vom Coronavirus nie so stark betroffen wie die meisten anderen Ländern. Einen echten Lockdown gab es zu keiner Zeit, und trotzdem sind die Zahlen viel niedriger als anderswo. Während sich in Deutschland zum Beispiel bisher rund 3,5 Millionen Menschen infizierten, waren es in Japan bisher weniger als 800 000 (bei rund 50 % mehr Bevölkerung). Während in Deutschland bisher rund 90 000 Menschen mit oder am Virus starben, sind es in Japan knapp 14 000. Dabei sei angemerkt, dass man dadurch keinesfalls Schlüsse über den Sinn oder Unsinn eines Lockdowns ziehen sollte. Als Fazit muss man also feststellen, dass das Gefühl der Eingeschränktheit, aber auch der Dringlichkeit, in Japan weitaus weniger ausgeprägt ist.

Keine Impfpflicht

Der zweite wichtige Unterschied ist die Impflage allgemein. Denn auch hier gibt es einen sehr wichtigen Unterschied zwischen Japan und den meisten anderen Industrienationen: Impfungen, egal gegen was, sind in Japan keine Pflicht. Das ist zwar eher die Regel in anderen Industrienationen, doch es gibt auch kein ordentliches Impfregister oder Impfbuch. Viele Erwachsene wissen deshalb nicht, wann sie gegen was geimpft wurden. Es gibt lediglich eine sogenannte doryoku gimu genannte „Pflicht, sich zu bemühen” – anders gesagt, eine freiwillige Selbstverpflichtung. Wer also nicht will, muss nicht. Das kann zum Beispiel, wie 2018 in Tōkyō und Umgebung geschehen, plötzlich zu einer Röteln-Epidemie führen – damals waren rund 1 000, zumeist 30- bis 40-jährige Männer betroffen. In Ländern mit Impfpflicht oder zumindest einem geordneten Impfsystem ist das schwer vorstellbar. Bei der Epidemie stellten Ärzte zudem fest, dass die meisten nicht wussten, ob sie jemals geimpft wurden – es war einfach nicht feststellbar, da eben ein zentrales Impfregister oder Impfbücher fehlen. Von einem System an Auffrischungen ist dabei schon mal gar nicht zu denken.

Man setzt bei Impfungen also ganz auf Freiwilligkeit und versucht das ganze sanft zu lenken. So erhalten zum Beispiel Mütter nach der Geburt des Kindes meist ein boshi techō, ein „Mutter-Kind-Handbuch”, in dem wie bei einem Laufzettel steht, wann wo und warum ein Besuch beim Arzt angeraten ist und welche Impfungen verabreicht werden sollten. Daran halten sich auch die meisten, aber eben nicht alle.

Chance für einen Neubeginn?

Problematisch sind in Japan in Sachen Impfungen auch die Preise. Einige Impfungen sind kostenlos, andere wiederum kosten Geld – Impfungen gegen Grippe, Rotaviren oder Mumps zum Beispiel sind kostenpflichtig, und in manchen Fällen kostet das auch mal über 100 Euro. Dabei sind Rotaviren-Ausbrüche in Japan sehr üblich und betreffen schnell ganze Kindergartengruppen (und nicht selten auch die Erwachsenen). Die Impfkosten, zumal ja einige Impfungen wie zum Beispiel die Grippeimpfung alljährlich verabreicht werden müssen, addieren sich da schnell zu einem großen Sümmchen, das nicht alle Eltern aufbringen können.

So gesehen sind die Corona-Impfungen in Japan möglicherweise eine Chance, das gesamte System zu überdenken und wo nötig zu ändern – das beginnt bei der Aufklärung und endet bei der Kostenfrage und der Logistik.

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