Eine etwas schüchtern in die Kamera lächelnde junge Frau in einem schwarzen Uniform-Mantel, der sich kaum von jenen der Waffen-SS unterscheidet – im Jahr 2016 in Japan. Diese Fotos der Halloween-Kostüme der Girl Band Keyakizaka46 (欅坂46) führten in den letzten Tagen zu einem Shitstorm. Unter internationalem Druck haben sich das Plattenlabel Sony, die Produzenten und die Band nun entschuldigt. Wie kamen die Verantwortlichen aber überhaupt darauf, es sei eine gute Idee, die Sängerinnen in jenen Uniformen zu präsentieren, in denen der Holocaust begangen wurde?
Zum einen treten Keyakizaka46 oft in uniformhaften Kostümen auf, zum Beispiel in japanischen Schulmädchen-Outfits. Die Band ist ein Ableger der berühmten Gruppe AKB48, deren Sängerinnen mädchenhaft und bunt angezogen sind. Den Look von Keyakizaka46 dominieren gedeckte Farben und strenge Haarschnitte. Der Schritt hin zur SS-Uniform könnte als nicht allzu weit entfernt von bisherigen Outfit-Entscheidungen interpretiert werden – den gleichzeitigen Grenzübertritt erklärt das nicht.
Kleine Kulturgeschichte der Nazi-Symbolik in der japanischen Musik
Zum anderen ist der jetzige Uniform-Fauxpas kein einmaliger Ausrutscher. Tatsächlich blickt die „Nazi-Uniform“ auf einen unrühmlich ausdauernden Einsatz in der japanischen Pop- und Rockszene zurück. Seit den 1990ern ist der Anblick von Hakenkreuzen, SS-Schirmmützen, Wehrmachtsmänteln und Stiefelhosen nichts Außergewöhnliches. Oft zu sehen ist auch die Luger-Pistole – ein eindeutiger Hinweis auf den gewaltvollen, mörderischen, extinktorischen Hintergrund der anderen Requisiten.
Die Band X Japan begründete die Musikrichtung des Visual Kei ヴィジュアル系 . Das Cover ihres 1989 erschienenen Albums Blue Blood untertitelten sie Psychedelic Violence – Crime of Visual Shock (Psychedelische Gewalt – Verbrechen des visuellen Schocks). Der Slogan wurde für nachfolgende Bands Programm: Die raue Musik mit den selbstzerstörerischen Lyrics wurde durch sinistere Kostüme ergänzt. Neben Zombie-Make-up, Korsetten und viel Schwarz fand dabei auch das ein oder andere Versatzstück des Deutschen Reiches seinen Weg auf die Bühne.
Gutes Geschichtsverständnis, mangelnde Sanktionen
Von japanischer Seite aus wird das Problem durchaus gesehen und verstanden. Stars wie Fans in Uniform werden in Interviews oder auf der Straße auf ihre Kleiderwahl angesprochen. Sie werden konfrontiert, sollen sich verorten. „Ich glaube nicht, dass Juden sich freuen würden, uns zu sehen“, gestehen drei junge Erwachsene, die 2009 für das Fashion-Magazin Fruits mit knallroten Haaren, schwarzen Uniform-Jacken und SS-Emblem im Tōkyōter In-Stadtteil Harajuku 原宿 fotografiert wurden, im Info-Text zu ihren Outfits. Das Bewusstsein, dass die zur Schau gestellten Symbole untrennbar mit dem Holocaust verbunden sind, ist nur in Einzelfällen nicht vorhanden.
Bleibt also die Frage: Mit welcher Intention werden die Kostüme eingesetzt? Natürlich geht es um den Schock. Das bedeutet immerhin, dass der Anblick einer Nazi-Uniform in Japan dieselben Gefühle des Unwohlseins evoziert wie im reflektierten Deutschland der Jetztzeit. Der Moment der scheinbar unbedarften Instrumentalisierung der Uniform und damit der Gräueltaten, die in ihr ausgeübt wurden, für Zwecke der Popkultur stößt gleichermaßen im mehrheitlichen japanischen wie deutschen Diskurs auf Verurteilung.
Konkrete Sanktionen gibt es in Japan aber nicht: Das Tragen der Uniformen scheint nicht unangenehm genug zu sein. Auch sind die Symbole nicht wie in Deutschland als verfassungswidrig verboten. Vielleicht ließe sich sogar argumentieren, dass der Anblick eines Hakenkreuzes nichts Alarmierendes ist in einem Land, in dessen buddhistischen Tempeln seit Jahrhunderten Swastika zu sehen sind.
Kein japanspezifischer Einzelfall
Referenzen auf die Symbole der Nazi-Diktatur finden sich auch in westlicher Musik. Marilyn Manson singt in Uniform von einer Kanzel vor langen roten Bannern, die Artikulation von Rammstein-Sänger Till Lindemann weckt Assoziationen mit den Auftritten Adolf Hitlers. Auch hier gab es mediale wie politische Kritik – abgewiegelt wurde diese aber immer durch die ohnehin als grenzwertig abgetane harte Gangart der Musik.
Letztendlich bieten die Liedtexte, die das unter gesellschaftlichen Zwängen pervertierte Individuum thematisieren, im Westen wie in Japan den Rahmen für die Referenzen auf Demagogie und Zerstörungswut. Unbestritten bleibt die Kunstfreiheit trotz Geschmacklosigkeit der ästhetischen Mittel.
Entsprechend zeichnet sich der aktuelle Fall dadurch aus, dass er junge Frauen, die fröhliche Popmusik machen, in der Uniform von Massenmördern zeigt. Er ist insofern japanspezifisch, als dass die Verharmlosung des Holocaust erstmals große mediale Verurteilung erfährt. Die schnelle Kritik fungiert als Korrektiv: Es ist nicht erwünscht, dass diese Ästhetik in den Mainstream eintröpfelt. Sie darf nicht „normal“ werden.
Reaktion der Israelischen Botschaft
Und so gilt der Kommentar der Israelischen Botschaft in Tōkyō auf deren Facebook-Seite am 3. November global: „Stars verfügen über großen Einfluss, und deshalb ist es wichtig, dass sie sich gut mit einem so schwerwiegenden Thema auskennen. Aus diesem Grund möchte die Israelische Botschaft den Mitgliedern der Band Keyakizaka46 ein Sonderseminar zum Thema Holocaust anbieten.“
Kommentare