Zu den kulturellen Besonderheiten, ob derer sich zum Beispiel Deutsche über Japaner und Japaner über Deutsche wundern, zählt auf jeden Fall das Einstiegsalter in die Welt der Erwachsenen: Das lag in Japan bisher bei 20 Jahren, was den meisten anderen Nationalitäten reichlich spät vorkommt. Schließlich beginnen in diesem Alter die meisten japanischen Studierenden schon ihr drittes und vorletztes Jahr an der Universität. Im krassen Gegensatz dazu steht Deutschland, wo bereits 16-jährige laut Jugendschutzgesetz “Bier, Wein oder Sekt in der Öffentlichkeit trinken und kaufen dürfen” – ein Fakt, der bisher noch jeden Japaner verblüfft hat.
Früher war es anders
Das mit dem Alter war nicht immer so. Vor Jahrhunderten ging man nach anderen Maßstäben vor – nämlich nach Körpergröße, Statur und Reife. In einer genpuku genannten Zeremonie wurde den angehenden männlichen Erwachsenen ein schwarzer Hut aufgesetzt, und das geschah vor über eintausend Jahren meist im Alter um die 13 Jahre herum, später eher im Alter von 15 Jahren. Auch für weibliche Heranwachsende gab es eine besondere Zeremonie, wobei das Erwachsenen-Eintrittsalter meist zwei Jahre vor dem der Jungs lag.
Letzteres hatte sich zum Teil sogar bis zum 1. April 2022 erhalten, denn bis dahin durften Mädchen ab 16 Jahren, Jungs allerdings erst ab 18 Jahren heiraten – vorausgesetzt, die Erziehungsberechtigten waren damit einverstanden. Diese Praxis wurde unter anderem von Human Rights Watch lange kritisiert[1], widersprach sie doch dem internationalen Kampf gegen Kinderhochzeiten.
Folgen der neuen Volljährigkeit
Schon vor Jahren zeichnete sich eine Absenkung des Erwachsenenalters ab – bereits 2016 wurde so ab 18-jährigen erlaubt, an Wahlen teilzunehmen. Nun kommen seit diesem Jahr zahlreiche Freiheiten hinzu, zum Beispiel:
- das Recht, Verträge abzuschließen (Stichwort Mobiltelefon oder Mietverträge)
- das Recht, Geld zu leihen – das schließt die Erlangung von Kreditkarten mit ein
- das Recht, ohne Erlaubnis der Erziehungsberechtigten zu heiraten
Mehr Freiheiten – gute Nachrichten! Sollte man meinen, doch interessanterweise fand zum Beispiel die Nippon Foundation in einer Umfrage[2] unter 1.000 18-jährigen im Januar 2022 heraus, dass die große Mehrheit der Jugendlichen sich in dem Alter ganz und gar nicht erwachsen fühlt: Nur 27 % hielten sich für erwachsen, im Gegensatz zu 85 % ihrer Altersgenossen in Großbritannien und immerhin noch über 70 % in der VR China. Damit hat die japanische Gesellschaft eine gewichtige Aufgabe vor sich: Dass sich 18-Jährige nicht erwachsen fühlen, liegt daran, dass diese nicht wie Erwachsene behandelt werden. Will man dazu beitragen, dass 18- und 19-Jährige aktiv zur Gestaltung der Gesellschaft beitragen, müssen diese auch als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden.
Kein neues seijin no hi
Doch was passiert nun mit dem seijin no hi – dem “Tag des Erwachsenen”, bei dem am zweiten Montag im Januar die “neuen” Erwachsenen in Zeremonien gefeiert werden? Diese Feier findet für all jene statt, die zwischen April und März kommenden Jahres 20 Jahre alt werden. Nun: Nichts wird sich ändern. Das Alter hier auf 18 Jahre herabzusenken ist unrealistisch, denn genau zu dieser Zeit ist Prüfungszeit für die meisten 18-Jährigen, und da ist keine Zeit für Zeremonien.
Die Mehrheit der Jugendlichen lehnt die Herabsenkung des Alters für diesen Feiertag dann auch ab[3] – unter anderem mit der Begründung, dass man mit 18 Jahren eh noch nicht Alkohol trinken darf. Denn so viel Erwachsensein trauen die japanischen Gesetzesgeber den 18-Jährigen immer noch nicht zu: Trinken, Rauchen und Wetten bleiben auch 2022 nur ab 20 erlaubt.
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