Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Yahoo! Auction, Book Off und Mercari: Second Hand–Boom in Japan

Matthias Reich
Matthias Reich

Waren gebrauchte Dinge vor gut 20 Jahren in Japan noch völlig unbeliebt, hat sich das Land inzwischen zu einer Nation von Millionen Kleinhändlern gemausert. Wie so oft, auf seine ganz eigene Art und Weise. Dafür gibt es zahlreiche Gründe - positive wie negative.

Book Off
Book Off ist eine große, landesweite Second-Hand-Kette, die vor allem Printmedien anbietet.

Gebrauchte Autos, gebrauchte Kleidung, gebrauchte Häuser — all das war lange Zeit in Japan eher unbeliebt. Neu sollten die Sachen sein, der Einkauf risikofrei und die Interaktion mit anderen minimal. Das war noch um die Jahrtausendwende herum der Fall, doch seitdem hat sich viel getan – sehr viel. Dafür sorgte zum Beispiel die große Einzelhandelskette Book Off, die neben Büchern auch CDs, DVDs, Spielzeug, Konsolen und vieles mehr verkauft. Mit einem Antiquariat lässt sich Book Off allerdings nicht vergleichen – die meisten der dort angebotenen Bücher sind Manga, Romane, Lernmaterialien und Groschenhefte.

Dass hier ein riesengroßer Markt besteht, war klar – in Japan kauft der durchschnittliche Erwachsene ca. fünf Bücher (aus Papier) pro Jahr – das ist deutlich mehr als in Deutschland. Das lässt sich mit einer anderen Lern- und Prüfungskultur sowie einer allgemein verbreiteten Hingabe zu schnell konsumierbaren Mangas erklären. Doch es ist nicht beim Printverkauf geblieben: Ableger wie Hard Off, Liquor Off oder Hobby Off, die sich je auf gebrauchte Elektronik und Haushaltswaren, Spirituosen oder Hobby/Sport spezialisieren, folgten. Auch Second-Hand-Läden für Mode, wie etwa 2nd STREET, begannen sich landesweit auszubreiten. Doch das war nur der Anfang.

Book Off Magazine
Ein typischer Gang in einem Book Off.

Yahoo und Mercari statt Ebay

Yahoo! Auction, auf Japanisch liebevoll ヤフオク (yafuoku) abgekürzt, war vor einem Jahrzehnt nur etwas für Fans – gerade Popkultur-Liebhaber:innen und Hobbysammler:innen benutzten das japanische Pendant zu Ebay, um wertvolle Stücke zu ersteigern. Doch dann betrat 2013 ein neuer Spieler den Markt: Mercari, gegründet von einem einzelnen japanischen Unternehmer. Auf der gleichnamigen, hauptsächlich App-basierten Plattform kann jedermann etwas kaufen und verkaufen, und zwar nicht nur gebrauchte Sachen, sondern auch Handgemachtes oder einfach nicht mehr verwendete Dinge. Eine kurze Beschreibung, ein paar Fotos und schon kann es losgehen.

Der Markt lebt, das ist klar, von Bewertungen. Käufer:innen bewerten Verkäufer:innen und andersrum. Keine zehn Jahre nach der Gründung wurden bereits Geschäfte von umgerechnet mehr als einer Milliarde Euro auf Mercari abgewickelt, und die Firma schreibt schwarze Zahlen. Andere Firmen haben sich ganz auf diesen Boom eingestellt – in vielen Convenience Stores gibt es Abholstationen für Mercari-Pakete, und größere 100-Yen-Shops haben eigene Mercari-Abteilungen eingerichtet, in denen man Verpackungs- und Versandmaterial in allen Formen und Größen erwerben kann.

Schale mit Goldlack verziert wird in der Hand gehaltenMottainai: Die Philosophie des Nicht-VerschwendensUngenutztes Potenzial oder verschwendete Ressourcen – diese scheinbar ungreifbaren Konzepte lassen sich durch das japanische Wort „mottainai...13.07.2022

Second-Hand bringt auch Nachteile

Rund um das Geschäft mit den Gebrauchtwaren entstehen allerlei neue Ideen. So ist unter anderem von der “Mercari-Lesemethode” die Rede: Man kauft sich ein Buch, das man gerne lesen möchte, und stellt es dann sofort zum Verkauf bei Mercari ein. Während man das Buch liest, findet sich dann eventuell schon der nächste Käufer. Keine Kreislaufwirtschaft in dem Sinne, aber ökonomisch wie ökologisch durchaus sinnvoll. Doch das System hinterlässt auch Kollateralschäden:

  • Traditionelle Buchverkäufe gehen zurück, mit allen damit verbundenen Folgen (anhaltendes Sterben der Buchläden – es gibt bereits heute erste Städte ohne einen einzigen Buchladen). Autoren und Verlage erleben ebenfalls Einbußen. 
  • Einige Paketzusteller-Unternehmen arbeiten aufgrund von Personalmangel ohnehin schon am Limit – durch den Onlineboom werden die Grenzen strapaziert.
  • Man entwickelt sich noch mehr zur Wegwerfgesellschaft, da viele Menschen, mit der Aussicht auf den Weiterverkauf mehr kaufen als normalerweise nötig. 

Gewinner(innen) des Mercari-Boom

Die große Mehrheit der Mercari-Nutzer:innen dürften Frauen sein, die auf diese Weise ein kleines Nebeneinkommen erwirtschaften können – ohne für den kargen Mindestlohn für ein paar Stunden arbeiten gehen zu müssen, denn von geschlechtsneutraler Bezahlung kann in Japan noch immer keine Rede sein. Auch Kinder und Jugendliche profitieren von dem neuen Trend – zwar dürfen sie nicht auf Mercari verkaufen, aber mit Genehmigung der Eltern können sie problemlos alte Bücher und Spiele zum nächstgelegenen Book Off vor Ort bringen.

Book Off ist auch ideal für Liebhaber der danshari-Methode, laut der man überflüssigen Kram im Haushalt vermeidet, indem man Dinge entfernt, die man nicht benötigt oder sie gar nicht erst anschafft. Man bringt diese Sachen dann einfach zu Book Off, Hard Off und so weiter. Entweder man bekommt etwas Geld dafür oder der Laden entsorgt sie unentgeltlich. Viel Geld sollte man jedoch nicht erwarten – für den Großteil der Bücher bekommt man gerade mal 10 Yen (oder ca. 7 Cent) pro Stück.

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