Alljährlich wird Mitte Dezember das Schriftzeichen des Jahres bekanntgegeben – ähnlich dem Wort des Jahres, und es sollte symbolhaft für das ausklingende Jahr stehen. Im Jahr 2018 wählte man das Zeichen für wazawai, was so viel wie “Unglück” oder “Katastrophe” bedeutet und auf die zahlreichen Naturkatastrophen in diesem Jahr hinweisen sollte. Wohlwissend, dass man sich darauf einstellen muss, dass es in den kommenden Jahren so weitergehen könnte.
Und siehe da: 2019 stand man in Sachen Naturkatastrophen dem Vorjahr in nichts nach, nur dass es dieses Mal hauptsächlich die Region um Tōkyō traf. Gleich zwei schwere Taifune innerhalb eines Monats richteten riesige Schäden an, wobei man im Nachhinein sagen muss, dass Tōkyō selbst noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Es hat nicht viel gefehlt, und in weiten Teilen der Hauptstadt, vor allem in den Stadtbezirken Koto, Edogawa, Setagaya, Ota, Adachi usw. hätte es Land unter geheißen. Während Taifun 15 ordentliche Schäden in Chiba hinterließ, setzte Taifun Nummer 19, Hagibis, weite Gebiete unter Wasser, die man eigentlich für sicher hielt. Mindestens 64 Todesopfer waren zu beklagen, und der wirtschaftliche Schaden ist gewaltig.
Japan im Jahr 2019: Anbruch einer neuen Ära
Berechtigterweise nahm man mit dem diesjährigen Schriftzeichen jedoch lieber Bezug auf den Thronwechsel, denn der kommt nicht alle Jahre vor: Den letzten Thronwechsel gab es vor 30, und davor vor 94 Jahren. Und es war von vornherein ein besonderer Wechsel, denn normalerweise behält der Tennō sein Amt auf Lebenszeit. Doch dieses Mal räumte der beim Volk sehr beliebte Akihito aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig den Thron für seinen Sohn Naruhito, der sich vorgenommen hat, das sehr positive Lebenswerk des Vaters fortzuführen. Der Thronwechsel am 1. Mai 2019 führte dabei zu einer beispiellosen Kette von Feiertagen – so hatten, die Wochenenden mit eingerechnet, viele Japaner Anfang Mai 10 Tage am Stück frei. Das neue Regentschaftsmotto, das übrigens nicht vom Kaiser selbst bestimmt wird, lautet nun “Reiwa” und nimmt Bezug auf eine sehr alte japanische Schrift. Damit ist 2019 nun nach japanischer Zeitrechnung Heisei 31 und gleichzeitig Reiwa 1.
Wirtschaft und Innenpolitik
Was geschah sonst noch so in Japan? Das Wirtschaftswachstum wird letzten Endes bei circa einem Prozent liegen – ein µ mehr als im vergangenen Jahr, und wahrscheinlich mehr als man im Jahr 2020 erwarten kann, denn Japan folgt dem Trend des weltweit sinkenden Wirtschaftswachstums. Politisch geschah nicht allzu viel im Jahr 2019, und das war auch nicht anders zu erwarten. Sicher, viele Japaner sind unzufrieden mit der Regierung des Ministerpräsidenten Abe – jüngsten Umfragen zufolge sind genauso viele Menschen unzufrieden wie zufrieden mit der Arbeit der Regierung. Das liegt an den obligatorischen Skandalen und Skandälchen der letzten zwölf Monate, bei denen einige Minister letztendlich ihre Posten räumen mussten. Besonders stach dabei der “Sakura o miru kai”-Skandal hervor: Eine Veranstaltung, bei der handverlesene Gäste auf Staatskosten unter Kirschblüten feiern. Diese Veranstaltung gibt es schon lange, aber die Kosten sind unter Abe explodiert, und als die Opposition nach der Gästeliste verlangte, wurde diese, welch Zufall, am Tag der Parlamentsanfrage geschreddert. Dieser äußerst undemokratische Vorfall wird die Beteiligten noch über das Jahr 2019 hinaus in Atem halten.
Eine lange vorher und auf Jahre hinaus verschobene Maßnahme betraf 2019 alle Japaner: die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 8% auf 10%. Die zusätzlichen Steuereinnahmen sollen dafür sorgen, das jetzt schon weitmaschige soziale Netz zusammenzuhalten, denn mit der fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft wird die Lage der Renten- und Pflegekassen allmählich brenzliger. Abgefedert werden soll die Erhöhung durch diverse Maßnahmen – so erhalten Verbraucher bis Juni 2020 zwischen 2 und 5% zurück, wenn sie – in ausgewählten Läden und e-Commerce-Seiten – “cashless”, also mittels Kreditkarten oder Prepaid-Services bezahlen.
Außenpolitik: angespanntes Verhältnis zwischen Japan und Südkorea
Außenpolitisch gesehen hat sich das Verhältnis mit dem nächstgelegenen Nachbarn, Südkorea, auf gefühlte Minusgrade abgekühlt. Dafür gab es gleich mehrere Gründe. Der Hauptgrund dürfte allerdings die Entscheidung südkoreanischer Gerichte sein, dass japanische Firmen mit Niederlassung in Südkorea zwangsverpfändet werden können, um damit Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges zu entschädigen. Aus japanischer Sicht ist dieses Kapitel jedoch schon seit Jahrzehnten mittels bilateraler Abkommen abgeschlossen. Als unmittelbare Folge entstand in Südkorea eine antijapanische Protestbewegung, wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hat. Was folgte, war das übliche “Wie Du mir, so ich Dir”-Karussell der Eskalation: Japan entzog dem Nachbarn wirtschaftliche Privilegien, und Südkorea kündigte daraufhin an, ein Programm zum Austausch militärisch relevanter Informationen (im Hinblick auf Nordkorea) zu beenden. Erst gegen Ende des Jahres, im Dezember, gab es erste, zaghafte Anzeichen des Versuches einer Deeskalation.
Vorgeschmack auf Olympia: die Rugby-WM in Japan
Das wohl positivste Ereignis des Jahres war die Ausrichtung der Rugby-Weltmeisterschaft – eine Art Testlauf für die Olympischen Sommerspiele im kommenden Jahr. Eine Rugbybegeisterung ohnegleichen erfasste das ganze Land, und die Idee, die Weltmeisterschaft an im ganzen Land verstreuten Austragungsstätten auszurichten, entpuppte sich als voller Erfolg. Überall wurde friedlich und ausgelassen gefeiert, egal ob in Tōkyō oder der Provinz. Eine bessere Werbung kann es für Japan nicht geben, und man bekam so schon mal einen Vorgeschmack auf das nächste Jahr.
So, jetzt muss ich aber zur nächsten 忘年会 bōnenkai (“Das-Jahr-vergessen”-Party) und wünsche allen Lesern des JAPANDIGEST ein 良いお年を yoi otoshi o – einen guten Rutsch ins neue Jahr! Bis zum nächsten Jahr!
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