Jahresrückblick auf Reiwa 6: Das hat Japan 2024 bewegt und geprägt

Matthias Reich
Matthias Reich

Der Einstieg in das Jahr 2024 konnte schlechter nicht sein: Direkt am Neujahrstag verwüstete ein schweres Erdbeben die leidgeprüfte Noto-Halbinsel in der Präfektur Ishikawa. Es ging weiter mit politischen Skandalen, einem nach wie vor sehr schwachen Yen, nie dagewesenen Besuchermengen aus dem Ausland – und großartigen Meldungen für Sportfans.

© photoAC / 月舟

Wenn die Natur zuschlägt

Der JAPANDIGEST-Jahresrückblick des Vorjahres begann mit: “Die guten Nachrichten vorweg: Es gab keine verheerenden Erdbeben, Tsunamis oder Taifune”. Leider kann man dies über 2024 nicht sagen, denn schon der erste Tag des Jahres begann mit einem Paukenschlag. Ein Erdbeben der Stärke 7,6 auf der Richterskala – und der höchsten Stärke 7 auf der japanischen Skala – verwüstete weite Teile der abgelegenen Noto-Halbinsel. Die Bilanz: beinahe 500 Tote, eine verwüstete Infrastruktur und fast 2000 Nachbeben. Besonders schockierend war der Anblick des vollständig abgebrannten Stadtzentrums von Wajima, einem traditionellen Zentrum der Lackherstellung. Er erinnerte stark an die Bilder von 2011, als Erdbeben, Tsunami und Brände mehrere Orte in Tōhoku regelrecht von der Landkarte tilgten. Im September traf eine weitere Naturkatastrophe exakt die gleiche Gegend – ein abgeschwächter Taifun zog über die Halbinsel, zerstörte zahlreiche weitere Häuser sowie Straßen und forderte 15 Todesopfer.

WAfima Morgenmarkt nach dem ErdbebenErdbeben auf der Noto-Halbinsel an Neujahr: Was diese Katastrophe so außergewöhnlich machtDas Erdbeben vom 1. Januar 2024 auf der am Japanischen Meer gelegenen Noto-Halbinsel forderte Dutzende Menschenleben und zerstörte Infrastru...17.02.2024

Auch der Klimawandel macht sich in Japan immer stärker bemerkbar: Sowohl der Frühling als auch der Herbst waren 2024 überdurchschnittlich warm, während in den letzten Jahren die Winter in manchen Gegenden immer strenger werden. So befürchtet man, dass auf längere Sicht zwei der vier Jahreszeiten in Japan verschwinden könnten. Das bringt auch die Tierwelt durcheinander – vor allem Bären und Wildschweine dringen nun vermehrt bis in bewohnte Siedlungen und sogar Innenstädte vor, wobei es gerade mit Bären immer wieder zu tödlichen Begegnungen kommt.

Politikchaos

Für japanische Verhältnisse war 2024 ein tumultartiges Jahr: (Ex-)Premierminister Kishida Fumios Umfragewerte sanken immer weiter in den Keller, bis er schließlich verkündete, nicht mehr zur Neuwahl des Parteivorsitzenden der Liberaldemokraten anzutreten. Da der Parteivorsitz der Liberaldemokraten, so diese die Mehrheit im Parlament stellen, quasi automatisch mit dem Posten des Premierministers verbunden ist, bedeutete Kishidas Verzicht, dass er als Premierminister ein Jahr vor Ablauf seiner regulären Amtszeit hinschmeißt. Der Gewinner der Wahl, das politische Urgestein (aber nicht unbedingt der bevorzugte Kandidat der Abgeordneten) Ishiba Shigeru, wurde so im Herbst der neue Premierminister. Umgehend beraumte er vorgezogene Unterhauswahlen ein – bei der die (beinahe) ewig regierenden Liberaldemokraten von der Wählerschaft eine schallende Ohrfeige erhielten: In Zeiten steigender Preise kamen die Schwarzgeldkassenskandale zahlreicher LDP-Kandidaten nicht gut an. Zwar sind die Liberaldemokraten immer noch stärkste Kraft im Unterhaus, doch die Mehrheit haben sie verloren – sie sind von nun an auf die Zusammenarbeit mit Oppositionsparteien angewiesen, was durchaus einen positiven Effekt auf die Politik der kommenden Jahre haben könnte.

Vorgezogene Unterhauswahlen 2024: Japaner rechnen mit Regierung abTumultartig – anders lässt sich die politische Lage in Japan im Jahr 2024 kaum beschreiben. Der neu gewählte Parteivorsitzende und damit auc...13.11.2024

Ein Jahr für Sportbegeisterte

Alljährlich gibt ein Mönch am berühmten Kiyomizu-dera in Kyōto am 12. Dezember das Schriftzeichen des Jahres bekannt. 2024 war dies das Zeichen kin oder kane (金), welches sowohl “Geld” als auch “Gold” bedeutet. Dies wird mittels einer Umfrage ausgewählt, und exakt dasselbe Schriftzeichen war bereits 2000, 2012, 2016 und 2021 auserkoren worden. Aufmerksame Leser werden an dieser Stelle sicherlich bemerkt haben, dass ein System dahinter zu stecken scheint. Goldrichtig! Denn in all diesen Jahren fanden Olympische Sommerspiele statt, an denen natürlich über japanische Erfolge ausgiebig berichtet wird. Doch 2024 stellte ein einzelner Sportler selbst die Olympischen Spiele in den Schatten: Ōtani Shōhei, der in der amerikanischen Baseball-Profiliga einen Rekord nach den anderen bricht. So dürfte er mit Abstand den höchsten Anteil an Beiträgen in japanischen Nachrichtensendungen gehabt haben.

“Futehodo” & “Bling-Bang-Bang-Born”: Das sind die Wörter des Jahres 2024Auch in diesem Jahr gab es ganz bestimmte Begriffe, die in der japanischen Gesellschaft besonders aufgefallen oder prägnant geworden sind. 2...02.12.2024

Japan wird strenger

2024 traten einige neue Gesetze in Kraft – diese meinen es zwar gut, aber sie haben auch das Potenzial, das Leben einiger Menschen aufgrund einer unbedachten Entscheidung für immer negativ zu beeinflussen. So ist die Polizei nun verpflichtet, Fahrradfahrende, die beim Fahren das Smartphone benutzen oder auch nur ein kleines Bier vor der Fahrt getrunken haben, strafrechtlich zu belangen, was durchaus teuer werden kann. Im Extremfall droht sogar das Gefängnis. Eine andere Gesetzesnovelle gilt dem Haschisch: Wer auch nur mit geringen Mengen im Blut ertappt wird, kann bis zu sieben Jahre im Gefängnis schmoren. Damit bestätigt man die unbeirrte Einstellung Japans gegenüber Marihuana – es galt schon immer und gilt immer noch als “harte Droge”, genau wie Kokain, Heroin und Co. Japan-Reisende sollten also auf der Hut sein.

MarihauanaMarihuana & Co in Japan: Welche Folgen drohen?In Japan ist Marihuana genau wie andere Drogen streng verboten. Wer erwischt wird, muss mit harten Strafen rechnen, Stars sogar mit dem Ende...24.06.2019

Touristen über Touristen

Der Tourismus in Japan hat sich nach den harten Corona-Jahren nicht nur erholt – er übertrifft sogar die Rekordjahre vor der Pandemie. Im Jahr 2024 kamen geschätzte 35 Millionen ausländische Touristen ins Land, und sie sind mittlerweile in den großen Städten allgegenwärtig. Das Wort “Overtourism” gewinnt deshalb auch in Japan immer mehr an Bedeutung. Und auch ein zweiter, amüsanter Begriff macht aktuell die Runde: “Inboundon”, ein Kofferwort, zusammengesetzt aus “inbound”, also aus dem Ausland kommende Touristen, und “don(buri)”, ein populäres Reisgericht mit einer Auflage aus Fleisch oder Fisch, das traditionell eher eine günstige Hausmannskost ist. Vor allem dort, wo sich viele Touristen ansammeln, wird dieser Klassiker gern mal ziemlich überteuert verkauft. Die Nachfrage bestimmt eben das Angebot.

In diesem Sinne wünschen wir  allen Leserinnen und Lesern ein gesundes, neues Jahr: 2025 ist das Jahr der Schlange, die in Ostasien vor allem als Symbol für Wohlstand und Langlebigkeit gilt.

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