Wie sehr die japanische Wirtschaft mittlerweile vom Tourismus, vor allem vom Inbound-Tourismus, abhängig ist, wurde leider aufgrund des Corona-Virus ab März schlagartig deutlich: Wurde Japan noch im vergangenen Jahr von über 30 Millionen ausländischen Besuchern bereist, so blieben diese plötzlich aus.
Und nicht nur das: Mit Verhängung des Ausnahmezustandes im April wurde den Menschen auch noch vorgeschrieben, nach Möglichkeit nicht die Präfekturgrenzen zu überschreiten, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Und das aus gutem Grund: Städter flüchten gern ins Grüne, in die Provinz. Doch aufgrund der dünnen Besiedlung dort ist das Gesundheitswesen den üblichen Bedürfnissen angepasst – sprich nicht auf eine Pandemie vorbereitet. Auch das hohe Durchschnittsalter in den ländlichen Gegenden erlaubt nur eine Maßnahme – den Kontakt mit Corona-Risikogruppen möglichst zu vermeiden.
„Go To Travel“-Kampagne soll zum Reisen animieren
Gegen Ende des Ausnahmezustandes im Juni sah die Lage wesentlich besser aus: Selbst in Tōkyō gab es gerade mal eine einstellige Anzahl an Neuinfektionen. Und so wurde beschlossen, den Binnentourismus anzukurbeln, indem man Reisewilligen bis zu 35% ihrer Reisekosten erstattet. Diese „Go To Travel“-Kampagne begann am 22. Juli – und damit pünktlich zu Beginn eines langen, viertägigen Wochenendes. Die Reaktionen auf die Ankündigung waren überwiegend positiv – in mehreren Umfragen gab eine große Mehrheit an, von der Kampagne Gebrauch machen zu wollen.
Die Wunschliste der Reiseziele wurde, ganz klar, von Okinawa und knapp dahinter Hokkaidō angeführt. Leider machte der Virus dem Ganzen einen ordentlichen Strich durch die Rechnung, denn die Neuinfektionen klettern seit Mitte Juli wieder ordentlich in die Höhe – auf selbst während des Ausnahmezustandes nie gezählte Werte. Damit wurden auch die Kritiker von „Go To Travel“ lauter – darunter die Gouverneurin von Tōkyō, Koike Yuriko, die lautstark die Regierung kritisierte und forderte, die Kampagne zu verschieben.
Die Quittung folgte kurz vor deren Beginn: Alle Einwohner von Tōkyō wurden kurzerhand von der Aktion ausgeschlossen. Und so begann die „Go To Travel-“Aktion ohne die Hauptstädter. Prinzipiell kein großes Problem, denn die Aktion soll bis zum 31. Januar 2021 laufen – oder so lange, bis das dafür vorgesehene Budget aufgebraucht ist.
Ist die „alle außer Tōkyō“-Regel sinnvoll?
Die „alle außer Tōkyō“-Regel ist, ganz vorsichtig und höflich ausgedrückt, problematisch, denn erstens sind nicht alle Stadtteile von Tōkyō stark betroffen, und zweitens gibt es Millionen Pendler aus den Nachbarpräfekturen, die tagtäglich nach Tōkyō fahren, dort arbeiten und Menschen treffen, und abends wieder zurückfahren. Diese Menschen dürfen von der Kampagne Gebrauch machen – obwohl es nur schwer vorstellbar ist, dass die Pendler weniger infektionsgefährdet sind.
Es kam, wie es kommen musste: Seit Ende Juli stiegen die Infektionszahlen im ganzen Land rasant an. Selbst die Präfektur Iwate, bis Ende Juli der letzte weiße Fleck auf der japanischen Coronakarte, meldete erste Ansteckungen, und Okinawa vermeldete Anfang August eine Überbelegung der Krankenhausbetten aufgrund von Corona-Erkrankungen und damit eine latente Gefahr des Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung auf dem Archipel. Trotz allem wird die Kampagne fortgeführt, und nicht nur das: Ab Ende August werden zum Beispiel die Fahrpreise für die Tōhoku-Shinkansen halbiert, mit der Option, dass JR West womöglich nachzieht und ebenfalls die Fahrpreise halbiert – auf der gut frequentierten Tōkyō-Kyōto-Ōsaka-Hiroshima-Fukuoka- Route.
Das Schlimmste steht wohl noch bevor
Das dicke Ende wird allerdings in der zweiten Augusthälfte kommen: Viele Japaner nehmen in der Obon-Woche vom 11. zum 14. August ein paar Tage Urlaub und nutzen diese Zeit, um zu verreisen. Sicherlich wird die Reisewelle dieses Jahr etwas gedämpfter ausfallen, doch auch in Japan macht sich langsam, aber sicher eine Corona-Müdigkeit breit, weshalb viele trotz aller Warnungen verreisen werden. Mit explodierenden Neuinfektionen danach muss man leider rechnen.
Nur für große Reiseveranstalter hilfreich
Neben dem Zeitpunkt steht die „Go To Travel“-Kampagne übrigens auch wegen anderer Sachen in der Kritik, denn die Bedingungen für die Teilnahme sind so gesetzt, dass nur Branchenriesen wie der Reiseveranstalter JTB von der Kampagne profitieren. Bei selbst geplanten Reisen gibt es keinen Rabatt.
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