Es ist schon beachtlich: Obwohl ein oberflächlicher Blick auf das japanische Schulsystem Schlimmes erahnen lässt (riesige Klassen, Frontalunterricht, mangelnder Sprachunterricht), schneiden japanische Schüler regelmäßig bei den OECD-Bildungsvergleichen hervorragend ab. Woran kann das liegen?
Womöglich daran, dass die Kinder auch außerhalb der Schule viel lernen? Ganz nach dem studium generale-Prinzip ist es in Japan üblich, Kinder nach dem Kindergarten und der Schule in alternative Bildungseinrichtungen zu schicken. Und zwar so lange, bis sich etwas gefunden hat, das den Kindern auch liegt.
Das Prinzip ist immer das Gleiche: Bei vorzeigbaren Fächern wie Tanzen oder Klavier zum Beispiel wird mindestens einmal pro Jahr eine öffentliche Veranstaltung organisiert, bei der die Kinder vor Publikum auftreten können. Das können dann gern mal bis zu tausend Zuschauer werden, denn natürlich lassen es sich nahe und entfernte Verwandte nicht nehmen, den Nachwuchs auf der Bühne stehen zu sehen.
Interessant ist ein Blick auf die beliebtesten naraigoto 習い事, wörtlich „Lernsachen”, in Japan.
Beliebte Naraigoto-Fächer bei Grundschülern
Platz 1: Schwimmen
Platz 2: Englisch
Platz 3: Piano
Platz 4: Turnen
Platz 5: Juku (allgemeiner Förder- und Nachhilfeunterricht, z.B. Kumon)
Platz 6: Fußball
Platz 7: Kalligraphie
Platz 8: Tanzen (inkl. Ballett, Hip-Hop usw.)
Platz 9: Karate
Platz 10: Soroban (Abakus)
Beachtlich sind Platz 3 und 10: Während die Liebe zum Klavier in Europa kaum noch verbreitet ist, haut man in Japan liebend gern in die Tasten. Das ist nicht überraschend: Klassische Musik ist nach wie vor sehr beliebt, und das Wissen um Beethoven, Brahms und Händel weit höher als in den Heimatländern besagter Komponisten.
Rechenschieber: Japans Liebe zur Mathematik
Das Rechnen mit dem Soroban 算盤, der japanischen Variante des Rechenschiebers, ist eine japanische Besonderheit.
[Video] Wie der japanische Rechenschieber funktioniert
Die Kinder lernen hier nicht nur die Bedienung des Rechenschiebers selbst, sondern auch Kopfrechnen: Das Ziel der Soroban-Schulen ist letzten Endes, einen Rechenschieber in das Gehirn des Kindes zu implementieren, sodass komplizierte Rechnungen auch ohne das Gerät selbst möglich sind.
Da öffentliche Soroban-Aufführungen wahrscheinlich sehr langweilig wären, gibt es in diesem Fach ständig Prüfungen – gestaffelt nach dem gleichen Prinzip wie Prüfungen im Kampfsport, die nach Leveln oder Stufen eingeteilt sind: Vom kyū bis hin zum 10. dan.
Außerschulische Bildung in Japan: Eine Kostenfrage
Japanische Eltern lassen sich den außerschulischen Unterricht durchaus etwas kosten. Bei vielen Fächern bezahlt man bis zu 80 Euro pro Monat für eine Stunde Unterricht pro Woche.
Viele Eltern belassen es dabei nicht bei einem Unterricht, sondern schicken die Kinder zu mehreren Sachen, sodass schnell mehrere hundert Euro pro Kind und Monat fällig werden.
Mit dem Unterrichtsentgelt ist es auch nicht getan: Man bezahlt für Kleidung, falls nötig, Prüfungen, Lehrbücher, Auftritte und so weiter und so fort.
Natürlich entstehen dabei auch Probleme: Es gibt viele Eltern, die das Geld nicht aufbringen können.
Und es gibt auch nicht wenige Eltern, die das Ganze übertreiben und den Terminkalender ihrer Kinder so vollpacken, dass keine Zeit mehr zum Spielen bleibt: Die Kinder wachsen mit einem permanenten Erfolgsdruck auf und werden später Schwierigkeiten haben, eigenständig zu werden, da alles immer von anderen vorbestimmt war.
Lernen in Japan: Alternative Möglichkeiten
Außerschulische Aktivitäten wurden und werden von den Schulen auch durch die sogenannten bukatsu 部活 – „Clubaktivitäten“ – gefördert. Angeboten werden Sportarten, Instrumente spielen im Orchester, Kunst…
Doch da gibt es scheinbar ein Umdenken: Die Stadt Kawasaki hat zum Beispiel alle bukatsu an Grundschulen eingestellt, sodass die Eltern hier volle Freiheit haben (und, das ist die Kehrseite der Medaille, Kinder mit weniger betuchten Eltern keine Beteiligungsmöglichkeiten mehr haben).
Und dennoch: Lebenslanges Lernen, beginnend mit den Naraigoto bei Kindern, hat in Japan einen sehr hohen Stellenwert – mit überwiegend positiven Ergebnissen. Und dank der Präsentationen und Wettbewerbe sorgt es auch für ein lebhaftes Gemeindeleben in den japanischen Städten.
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