Die Herstellung von Craft Beer in Japan durch kleine handwerkliche Betriebe, wurde erst durch eine relativ simple Gesetzesänderung ermöglicht. Im genauen Gegenteil zur diesjährig erlassenen Gesetzesanpassung jedoch, trug die damalige Legislatur keineswegs die Handschrift der Großbrauereien. Im Jahr 1994 segnete das japanische Parlament eine Herabsetzung der Produktionsquote an Bier ab, was effektiv die mit Abstand größte Herausforderung in der Gründung von Kleinstbrauereien beseitigte. Unternehmer durften nun ab einer jährlichen Herstellung von nur 60.000 Litern ihre eigene Brauerei eröffnen. Zuvor lag der Mindestwert bei 2.000.000 Litern Bier pro Jahr.
Überall in Japan entstanden so, förmlich über Nacht, sogenannte „Microbreweries“, jede mit dem Ziel, ihr eigenes, einzigartiges Bier zu produzieren. Viele der Betriebe besaßen hinsichtlich ihrer brauerischen Fähigkeiten jedoch eher fragwürdige Kenntnisse und hatten das vornehmliche Ziel, lokale Spezialitäten der Region als besonderes Merkmal mit in ihr Bier inkorporieren zu wollen. Auf diese Weise versprach man sich, mehr Touristen in die eigene Gegend locken zu können.
Traditionelle deutsche Biersorten wie Alt, Pilsner oder Weizen wurden ob ihrer Bekanntheit besonders gerne als Basis für die Eigenkreationen verwendet. Diese einseitige Ausrichtung, kombiniert mit der eher bescheidenen Expertise vieler Brauer, führte letztlich dazu, dass die rasch aufgekommene Begeisterung der Japaner für Craft Beer auch ebenso schnell wieder erlosch. Viele Kleinstbrauereien versuchten ihre mittelmäßigen bis ungenießbaren Getränke an Tagestouristen zu vermarkten, was letztlich dazu führte, dass Biere unter dem „Craft“-Label in Japan alsbald nur noch müde belächelt und eher gemieden wurden.
Von den 1997 eingetragenen 300 Craft-Brauereien gingen so viele aufgrund ihrer minderwertigen Erzeugnisse oder des schlechten Rufs, welches dem Craft Beer nun anhaftete, Konkurs. Die fortbestehenden Unternehmen jedoch, konnten im Laufe der Jahre ihr eigenes Knowhow erweitern und verfeinern, um ihren Brauprozess zu optimieren. Auch wurden viele ausländische Experten engagiert, die den Firmen eine solide Basis geben sollten.
Durch die marktseitige Selektion der Brauereien hinsichtlich ihrer Produktqualität, konnte das Prestige des Craft-Biers schließlich wiederhergestellt werden, sodass sich die heutige Anzahl der Craft-Brauereien in Japan auf etwa 180 einpendelte. Von 2003 bis 2009 konnte der Absatz des Craft Beers der Kleinbrauereien um mehr als 100 % gesteigert werden, während herkömmlich Biere stetig an Popularität einbüßten.
Trotz des nie so groß gewesenen Erfolgs der Craft-Brauereien, wird in japanischen Medien relativ wenig über diese berichtet. Mit Anbruch des Sommers gibt es immer wieder Kolumnen oder Fernsehbeiträge über öffnende Biergärten und Vergleiche, welches Bier am besten zu welchem Essen passt. In diesen wird allerdings nicht sehr weit über den Tellerrand der etablierten Brauereienlandschaft und deren Biersortiment hinweggeschaut und die Reportagen bleiben oftmals sehr oberflächlich und voreingenommen. Nur auf Nischensendern und gewissen Nachrichtenportalen, die sich mit Jugend- und Subkulturen beschäftigen, kann man häufiger Berichte über die wachsende Craft Beer-Szene und deren bereits etablierten und aufkommenden Stars wahrnehmen.
Minoh Beer – Eine Erfolgsgeschichte der japanischen Craft Beer-Szene
Eine der Craft-Brauereien, welche sich seit der Deregulierungsphase der 90er Jahre halten und vergrößern konnte ist Minoh Beer aus der Präfektur Ōsaka. Die 1997 gegründete Craft-Brauerei ist nunmehr landesweit bekannt und ihre Biere werden in vielen Craft Beer-Bars Japans ausgeschenkt. Auch in einigen Kombinis und Supermärkten sind die Biersorten mittlerweile sogar überregional erhältlich.
Dabei war der Erfolg von Minoh Beer alles andere als vorbestimmt. Minō, eine Ōsaka City vorgelagerte Satellitenstadt, gehört zu den eher touristisch angehauchten Orten der Präfektur. Vom Bahnhof Minō aus, ist ein in den Vorbergen gelegener Wasserfall fußläufig erreichbar, welches diesen zur Hauptattraktion des Orts macht. Dort tummeln sich zudem häufig Japanmakaken, welche die Touristen beobachten und gleichermaßen selbst zum beliebten Fotoobjekt werden. Besonders im Herbst, wenn sich der japanische Ahorn leuchtend rot verfärbt, lädt der Quasi-Nationalpark „Meiji no Mori Minō“ zu Wanderungen, hin zum Wasserfall oder weiter auf den Tokai Naturwanderpfad, ein. Kurz hinter dem Bahnhof, auf dem Weg zum Wasserfall, kann man weiterhin die in Tempura-Teig frittierten Blätter des Ahorns als lokale Spezialität von freundlichen obā-san (Omis) erwerben, die ihre Geschäfte am Straßenrand betreiben.
Die Versuchung für Minoh Beer bestand also durchaus, bereits bekannte regionale Spezialitäten als billigen Trick zu benutzen, um den Anklang des eigenen Biers zu steigern – so wie es viele Brauereien zu Ende der 90er Jahre versuchten umzusetzen. Letztlich konzentrierte man sich beim Brauen des Biers jedoch auf das Leitmotiv des Gründers Ōshita Masaji: Dieser wollte eigentlich nur ein leicht zu trinkendes Bier fertigen, welches man am liebsten jeden Tag, in einer Runde von Freunden, genießen möchte.
Der lokale Aspekt wurde dabei dennoch nicht gänzlich verworfen: Die Brauerei versucht weiterhin möglichst Produkte und Zutaten regionaler Erzeuger für ihr Bier zu verwenden und so stets eine heimatbezogene Bindung zu wahren. Auch der örtliche Japanmakak hat es schließlich geschafft, das Image des Herstellers zu formen, nämlich als Maskottchen auf den Etiketten und hauseignenen Gläsern.
Bei der Unternehmensgründung stellte Ōshita seine Tochter Kaori als Braumeisterin ein. Diese ging damals noch auf die Hochschule und hatte keinerlei Vorkenntnisse in der Bierherstellung, was den Erfolgschancen der neuen Brauerei zunächst nicht zugute kam. Kaori musste sich, ebenso wie die Braumeister der weiteren, zahlreich neu gegründeten Brauereibetriebe, das Handwerk anlesen und Erfahrungen in der Praxis sammeln. Unterstützung bekam sie dabei von Ihrem Vater, dem Betreiber eines Spirituosengeschäfts, durch welchen sie das Bier auch vertrieben, sowie von der befreundeten Microbrewery Ise Kadoya. Auch ihre Schwester Mayuko trat im Jahr 2000 dem Familienbetrieb bei, um ihrer Schwester beim Brauen und in der Abfüllung unter die Arme zu greifen.
2009 war es dann endlich soweit: Kaoris Fleiß und Beharrlichkeit, eine gute Braumeisterin werden zu wollen, wurden durch ihre erste internationale Auszeichnung belohnt. Obwohl Kaori nur etwas mehr als zehn Jahre Brauerfahrung hatte, verliehen die World Beer Awards ihrem Stout den Titel des World’s Best Dry Stout. Auf ihren Lorbeeren ruhte sie sich dabei dennoch keinesfalls aus und zusammen mit Mayuko konnte Kaori so weitere zahlreiche Preise und Auszeichnungen für ihre Bierkreationen hinzugewinnen; genauso wie ihre dritte Schwester, welche seit 2010 die Verwaltung der klerikalen Aufgaben des Betriebs übernimmt.
Nach dem Tod ihres Vaters 2012, konzentrierten sich die Schwestern darauf, die immer erfolgreicher werdende Brauerei zu vergrößern und eröffneten im Oktober 2015 das Minoh Beer Warehouse. Die neue Anlage ermöglicht nun die Produktion von bis zu 450.000 Litern Bier pro Jahr. Weiterhin bietet das Warehouse auch eine geräumige Bar, in welchem das vor Ort gebraute Bier über den Zapfhahn auf frischestem Wege zu den durstigen Kunden gelangen kann. Auch einfache Speisen wie Kartoffelsalat und Würstchen kann man sich dort als Snack zum Bier bestellen.
Zwischen all den Herausforderungen und Erfolgen verloren die Geschwister jedoch nicht den Blick aufs Wesentliche. Als Dank an alle Unterstützer veranstalten sie jährlich, mithilfe des örtlichen Nachbarschaftsrats, eine Gründungsfeier, um so dem Motto ihres Vaters treu zu bleiben: Ein geschmackvolles Bier trinkt man am besten in der Gesellschaft seiner Freunde.
Für das tiefe Aroma der Biersorten von Minoh Beer kann sich der Autor dieses Textes übrigens ohne jeglichen Vorbehalt voll aussprechen: „Die mir bis dahin völlig unbekannte Brauerei wurde auf Empfehlung einer lokalen Bewohnerin besucht und überraschte mich, wie es sonst nur ein pünktlich eintreffender Zug der Deutschen Bahn vermag. Keine der probierten Sorten schmeckte auch nur ansatzweise futsū (normal) und der Aufenthalt dort wurde aufs vollste genossen.“
Den ersten Teil der zweiteiligen Artikelreihe finden Sie hier:
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