Zu Anfang April dieses Jahres wurde in Japan die gesetzliche Definition von Bier reformiert, welches die erste Änderung des Gesetzestexts seit 110 Jahren markiert. Ab nun ist es erlaubt ein Getränk auch als tatsächliches „Bier“ zu bezeichnen, in welchem ein Malzanteil von nur 50 % nachgewiesen werden kann. Vor der Gesetzesänderung mussten Biere wenigstens 67 % Malzanteil besitzen. Auch die Liste der zugelassenen Zutaten wurde erweitert: Neben Wasser, Hopfen und Malz, welches aus Getreide, Reis oder Mais hergestellt werden durfte, sind ab jetzt auch Beigaben wie Früchte, Gewürze, Kräuter, Blumen, Seetang, Austern oder Bonitoflocken erlaubt.
Durch die Neudefinition des Begriffs „Bier“, ist es Brauereien nun gestattet weitaus abwechslungsreichere Getränke zu entwickeln und diese anschließend auch unter dem Oberbegriff bīru (Bier) zu vertreiben. So könnte man meinen, dass die Entwicklung für eine erhöhte Vielfalt an Sorten sorge und für Brauereien aller Dimensionen erfreulich sein sollte. Tatsächlich sind jedoch vor allem die etablierten Großbrauereien die Hauptprofiteure der diesjährigen Gesetzesänderung.
Da nun viele Getränke der Craft-Brauereien, welche zuvor oftmals nicht gesetzeskonforme Zutaten oder Malzanteile beinhalteten, auch mit dem höheren Steuersatz für Bier besteuert werden müssen, kann es sein, dass dies einen Preisanstieg der Craft-Biere mit sich zieht. Das liegt daran, dass das meiste Craft Beer vor der Änderung des Gesetzestexts unter der Kategorie happōshu (kohlensäurehaltige alkoholische Getränke), mit geringerer Steuerbelastung geführt wurde.
Die Großbrauereinen erhoffen sich jetzt, durch den Vorteil ihrer Marktpräsenz gekoppelt mit der Einführung von eigenen „Craft“-Kreationen, den Craft-Brauereien ihren wachsenden Marktanteil streitig machen zu können. Zu dieser Strategie gehört auch das Kalkül der Braukonzerne, eigene „craft brewery“-Standorte, wie die Spring Valley Brewery von Kirin, in Tōkyōs Szenevierteln zu eröffnen. Die Motivation für diesen Schritt scheint die seit Jahrzenten abnehmende Lust der Japaner auf altbekanntes, industriell gefertigtes Bier zu sein.
Absturz des japanischen Bierkonsums
Eine Studie von Kirin, einem der größten Brauereiunternehmen Japans, stellte fest, dass der jährliche Bierkonsum pro Kopf, zwischen 2010 und 2015, jährlich um ca. 7 % abnahm. Auch sackte Japan von 2010 bis 2017 von Platz 38 auf Rang 55 im internationalen Ranking ab. Eine singuläre Ursache des unter dem Begriff bīru banare (Abkehr von Bier) bekanntgewordenen Phänomens, ist jedoch nicht festzustellen. Letztlich scheint eine Verkettung verschiedener Umstände für den heutigen Trend gesorgt zu haben.
Das Platzen der babberu (japanische Immobilienblase) zum Ende der 1980er und die stagnierende Wirtschaft der Folgejahre, läutete schließlich den Anfang des Endes der für Japan archetypischen Ära der sararīman (festangestellte Geschäftsläute) ein. Zu deren unausgesprochenen Pflichten gehört es u.a., nach der Arbeit mit dem Chef und Arbeitskollegen, bis in die frühen Morgenstunden trinken zu gehen. Zur Zeit der stagnierenden Volkswirtschaft, gab es schließlich immer weniger Unternehmen, welche die in Rente gehenden Festangestellten durch neue ersetzten wollten.
Stattdessen verließen sich die Unternehmen vermehrt auf befristete Jobs und Zeitarbeit, was anhand der Arbeitsmarktderegulierungen seitens der konservativen Regierung, in der Hoffnung die Wirtschaft wieder ankurbeln zu können, ermöglicht und gefördert wurde.
Durch die geringer werdende Bindung der Angestellten an ihren Arbeitsplatz, in Verbindung mit begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten, verging vielen Japanern schlichtweg die Geduld, sich jeden Abend an dem nun oftmals perspektivlos gewordenen Networking zu beteiligen. Da der japanische Bierkonsum seinen Höhepunkt in der Mitte der 1990er Jahre fand, kann eine Korrelation zwischen dem Rückgang der Festanstellungen und dem rückgängigen Bierkonsum in den darauf folgenden Jahren beobachtet werden.
Jüngere Generationen kommen auf den Geschmack von Craft Beer
Zu diesen Prozessen kommt weiterhin die gesellschaftliche Vergreisung Japans hinzu. Viele der immer weniger werdenden jungen Japaner, wollen ihre Freizeit nach der Arbeit lieber sinnvoller Nutzen, als mit dem Chef trinken zu gehen. Diese Einstellung überschneidet sich mit der Entwicklung hin zum individualisierten Lebensstil der heutigen Generationen. Personalisierbare, einzigartige Produkte mit hoher Qualität erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Auch den Alkoholkonsum betreffend, werden diese Merkmale immer mehr zum Trend.
Ebenso berichtet eine wachsende Anzahl an Betreibern von Craft Beer-Bars, dass unter ihrer sonst bunt gemischten aber eher jungen Kundschaft, vermehrt junge Frauen aufzufinden sind. Gründe hierfür sehen sie vor allem in der großen geschmacklichen Vielfalt des Craft-Biers. Vor allem die fruchtigen India Pale Ales und die mit Kakao- oder Kaffeenoten assoziierten Stouts erfreuen sich zunehmender Popularität bei den Mittzwanzigerinnen.
Ferner wohnen immer mehr junge Frauen und Männer, aufgrund der steigenden Mieten in den Großstädten, noch bei ihren Eltern und verfügen so über ein verhältnismäßig großes Einkommen. Dadurch sind diese eher in der Lage, sich die teureren Preise der Craft-Biere zu leisten.
Die sich wandelnden sozialen Prozesse sind also ein Grund, warum normales Bier zunehmend als Altherrengetränk angesehen wird und sich Craft Beer als Gewinner dieses Abstiegs der etablierten Sorten hervortut. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass sich das handwerkskünstliche Bierbrauen in Japan, einem Land mit eher begrenzter Erfahrung auf diesem Gebiet, heute immer größer werdender Beliebtheit erfreut und sogar internationale Preise gewinnt? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns im zweiten Teil unseres Artikels über die japanische Craft-Beer-Kultur.
Den zweiten Teil der zweiteiligen Artikelreihe finden Sie hier:
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