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Blutgruppendeutung in Japan: Teil 1

Yasemin Besir
Yasemin Besir

Sag mir deine Blutgruppe und ich sag dir, wer du bist. In Japan gelten Blutgruppen als Kennzeichner für bestimmte Persönlichkeitseigenschaften. Woher kommt das Phänomen und wer hat eigentlich damit angefangen?

In Japan verrät die Blutgruppe mehr als das Auge sieht.
In Japan verrät die Blutgruppe mehr als das Auge sieht. © Cassi Josh on Unsplash

Hierzulande fragt man sich unter neuen Bekanntschaften oft aus reinem Spaß nach dem Sternzeichen. Meist wird die Antwort von einem Schmunzeln begleitet, da zwar jeder sein Tierkreiszeichen kennt, aber niemand so wirklich an die Richtigkeit ihrer Deutung glaubt. Zwar findet man in jedem Horoskop mal Charaktereigenschaften, die auf einen zutreffen, doch diese sind meist so generischer Natur, dass jeder sich in ihnen finden kann. In Japan haben Sternzeichen keine große Bedeutung. Dort glaubt man, wenn auch mit einer guten Dosis Aberglaube, an die Blutgruppendeutung (ketsueki-gata 血液型) und wie die jeweilige Blutgruppe den Charakter eines Menschen bestimmen und beeinflussen kann. In einer zweiteiligen Reihe berichten wir von den historischen und populären Einflüssen des Blutgruppenwahns auf die japanische Gesellschaft und Kultur.

Im Westen suchen wir das Orakel häufig in den Sternen.
Im Westen suchen wir das Orakel häufig in den Sternen. © Kristopher Roller on Unsplash

In den Sternen, in den Venen

90 Prozent aller Japaner kennen ihre Blutgruppe. Das ist bedeutend mehr als in Deutschland, wo man sich höchstens im Fall eines medizinischen Eingriffs darüber informiert. Mit ca. 40 Prozent ist Gruppe A die meist vertretene Blutgruppe in Japan, dicht gefolgt von Typ 0 mit 30 Prozent, den 20 Prozent der Gruppe B und dem selteneren Typ AB, der mit knapp 10 Prozent der Bevölkerung die kleinste Repräsentation aufweist. Die Frage nach der Blutgruppe gilt in Japan als völlig normal, da man glaubt, dass sie die Persönlichkeit, das Temperament und nicht zuletzt die Kompatibilität untereinander voraussagt. Demzufolge passen etwa weibliche Trägerinnen der Gruppe AB perfekt zu Männern der Gruppe 0. B-Gruppen sind schwierige Charaktere. Mit A-Typen kann man im Beruf angeblich große Erfolge erzielen. So oder so ähnlich werden die verschiedenen Typen analysiert und gruppiert. Für viele Deutsche nichts als Unsinn. Für Japaner ein gesellschaftlich verankerter Trend, der seine Ursprünge zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat.

Ursprünge und (Pseudo)wissenschaft

1901 entdeckte der österreichische Wissenschaftler Karl Landsteiner das AB0-Blutgruppensystem und ebnete so den Weg für die sichere Durchführung von Bluttransfusionen, nicht ahnend, dass er mit seinen Befunden eine Reihe rassistisch begründeter Bewegungen auslösen würde. Einer der größten medizinischen Fortschritte artete innerhalb weniger Jahre in einen moralischen Regress der menschlichen Geschichte aus. Theoretiker der umstrittenen Eugenik, die im Deutschland des Nationalsozialismus häufiger als Rassenhygiene bekannt war, abstrahierten die Analyse um ihre Theorien der deutschen Rassenüberlegenheit zu fördern.

Mit der Entdeckung des AB0-Systems öffneten sich der Medizin viele Türen.
Mit der Entdeckung des AB0-Systems öffneten sich der Medizin viele Türen. © Sabinurce on Pixabay

Ihren Weg nach Japan fand die Blutgruppentheorie über den japanischen Psychologen Furukawa Takeji. 1927 veröffentlichte er seine Hypothesen, die sich auf den Einfluss der Blutgruppe auf Persönlichkeitseigenschaften bezogen. Erstaunlicherweise beruhten seine anfänglichen Funde auf der Beobachtung von nicht mehr als elf Personen in seiner Familie, in der es übrigens keine AB-Typen gab, sodass er sie einfach mit der Gruppe A zusammenfasste. Eine statistisch unsolide Forschung, die trotzdem Popularität erlangte. 1930 schließlich, eignete sich die militaristische Regierung Japans die Theorien der Nationalsozialisten an und bemühten sich um eine regelrechte Zucht besserer, effizienterer Soldaten.

Böses Blut

Die gesamte Einführung der Blutgruppentheorie in die japanische Gesellschaft beruht teilweise auf rassistischen Ressentiments aus dem Westen. Forscher entdeckten, dass die Blutgruppe B in Asien besonders weit verbreitet war, während sie unter Kaukasiern eher selten zu finden war. Daran anknüpfend wurde behauptet, dass Typ B auch charakteristisch bei Tieren wäre und Asiaten somit evolutionär minderwertig wären. Japanische Wissenschaftler waren erpicht darauf, diese groteske Hypothese zu widerlegen und die Debatte verfestigte sich in der Gesellschaft als beliebter Wissenschaftszweig, der so wissenschaftlich gar nicht ist.

Zunächst wurde die kurzlebige Erscheinung der Blutgruppenanalyse als wissenschaftlich gegenstandslos entlarvt und der Wahn nahm mit der in Verruf gekommenen Analyse rasch ab. Erst mit der Wiederaufnahme der „Forschung“ durch den Journalisten Nomi Masahiko gewann die Blutgruppendeutung neue Popularität als er, übrigens ohne jeglichen medizinischen oder wissenschaftlichen Hintergrund, sein Buch zur Kompatibilität nach Blutgruppen 1971 veröffentlichte. Sein Sohn Toshitaka führt die vielfach kritisierte Arbeit seines Vaters fort und steht dem Human Science ABO Center in Tōkyō vor. In seinen eigenen Worten sei es nicht seine Absicht, die Menschen in einen Rang einzureihen, sondern lediglich das Beste aus ihren Talenten herauszuholen und zwischenmenschliche Beziehungen zu glätten. „Die A, B und 0 Klassifizierung ist ein wirksamer Indikator, der uns Menschen ungeachtet ihrer Rasse oder Religion beurteilen lässt.“

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und dem Glauben?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und dem Glauben? © terimakasih0 on Pixabay

Wissenschaftler halten dies für Humbug. Auch Religionsprofessor Maekawa Terumitsu  lehnt die Theorie einer beeinflussenden Wirkung der Blutgruppe auf die Persönlichkeit ab, weist aber darauf hin, dass es durchaus gewisse Tendenzen gibt. In einer Analyse konnte er feststellen, dass die Verbreitung der Blutgruppen in einer Wechselwirkung zu religiösen Weltbildern stehen kann: So hielt er fest, dass im Westen der Großteil der Menschen den Gruppen A und 0 angehört und gleichzeitig eher monotheistischen Religionen wie dem Christen- oder Judentum anhängt, während asiatische Völker, mit überwiegend Vertretern der Gruppe B, als Buddhisten oder Hinduisten vor allem polytheistische Religionen pflegen. Inwiefern ein Zusammenhang zwischen den Bluttypen und der religiösen Überzeugung entsteht, lässt sich nicht erschließen. Wie in vielen Bereichen des Lebens könnte auch hier der Zufall seine Hand im Spiel gehabt haben.

Dass bis heute keine Studie eine Korrelation von Blutgruppe und Persönlichkeit beweisen konnte, ist jedoch eine unerschütterliche Tatsache, die sich in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung trotz allem als gegenstandslos erweist. Der Trend hält an. Doch wie genau drückt sich der Blutgruppenwahn in Japan aus und in welchem medialen und wirtschaftlichen Radius agiert er eigentlich?

Erfahren Sie mehr im zweiten Teil.

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