Denke ich persönlich an meinen Hochschulbesuch in Japan zurück, fallen mir sofort immer zwei Sachen ein: Zum einen wäre da meine erste Vorlesung in meinem damaligen Fachgebiet Geographie. Die “Vorlesung” fand im Büro des Professors statt und neben mir gab es ganze drei weitere Teilnehmer. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, fragte mich der Professor überraschend, was ich denn gerne machen würde. Ich zog ein Buch aus der Tasche, das ich mir am Vortag gekauft hatte – es ging um mein Spezialgebiet (“Nachhaltige Entwicklung in der Stadtplanung”). Der Professor blätterte es kurz durch, befahl dann den anderen drei Studenten, bis zur nächsten Stunde das gleiche Buch zu kaufen und machte das Thema spontan zum Lehrstoff für das kommende Semester. Da ich die Lektüre allerdings schon zur Hälfte gelesen hatte, lernte ich während der Vorlesung nur, wie man sein angelesenes Wissen durch Wiederholung festigen kann. Meine zweite Erinnerung betrifft die Sportvereine an den Universitäten. Als Mitglied eines solchen, musste ich schnell feststellen, dass die sportlichen Aktivitäten eigentlich nur als Entschuldigung herhalten sollten, sich danach schnellstmöglich und ungehemmt zu volllaufen zu lassen. Zwar war ich kein Neuling in solchen Aktivitäten, aber die ständigen Exzesse wurden rasch anstrengend. Versuchte man kein Spielverderber zu sein und mitzumachen, war der Tag schließlich schon gegen 9 Uhr abends gelaufen. Solche Gelage kennt man zwar auch von deutschen Unis, jedoch fallen diese in Frequenz und Ausmaß um einiges harmloser aus.
Aus diesen zwei ernüchternden Kernerfahrungen meiner Studienzeit an japanischen Unis, gekoppelt mit dem Bewusstsein, dass durchaus richtungsweisende Studien einiger japanischer Hochschulen international für Aufmerksamkeit sorgen, entwickelte ich ein ambivalentes Verhältnis zu den Einrichtungen. Einerseits bin ich immer wieder darüber entsetzt, wie wenig beziehungsweise auf welchem Niveau an vielen Unis gelehrt wird, andererseits jedoch produzieren einige Hochschulen sehr wichtige Forschungsergebnisse und Nobelpreisträger. Solche himmelsweiten Unterschiede kann man sich nur mit einer enormen Leistungsdifferenz zwischen den einzelnen Universitäten erklären. Wie auch bei den Oberschulen gibt es hier auch Ranking-Verfahren: Je besser das Ranking, desto schwerer wird die Aufnahmeprüfung gestaltet. Wer die nervenzerreibenden Aufnahmeprüfungen geschafft hat, hat das Gröbste überwunden. Und das wird von den meisten Studenten gebührend gefeiert. Quasi drei Jahre lang.
Die Frage, warum die Zahl der Studierenden in Japan so hoch ist, obwohl man an vielen Unis kaum forscht, kann man mit der folgenden Beobachtung beantworten: Man studiert nur für den Lebenslauf und dem damit in der Zukunft verbundenen beruflichen Werdegang. Je besser die Uni, desto besser die Aussicht auf gute Bezahlung und auf eine gute Hochzeitspartie. Was man studiert hat, ist dabei in den meisten Fällen ziemlich nebensächlich. Ausgenommen von dieser Generalisierung sind selbstverständlich naturwissenschaftliche und technische Fächer sowie Jura. Wer an der berühmten Tōdai (Abk. für Universität Tokyo), der bereits seit Jahrzehnten unangefochtenen Nummer 1 des Rankings, studiert hat, muss noch nicht einmal eine Stelle suchen. Allein der Universitätsname auf dem Diplom reicht als Aushängeschildschild. So kann man sich als Berater oder Lehrer eigenständig machen, ohne sich große Zukunftsängste um Kunden machen zu müssen. Bei weniger renommierten Universitäten hingegen ist es nahezu ausgeschlossen, in soliden, bekannten Firmen wie Sony oder Honda eine Stelle außerhalb des Fließbandes oder niederen Vertriebs zu finden. Dabei wird die Praxisferne des Hochschulstudiums schon länger bemängelt.
Doch die japanischen Universitäten sind in Not, denn der demographische Wandel der Gesellschaft sorgt dafür, dass ihnen die Studenten ausgehen. Der Wettbewerb um die Studenten wird härter und die Aufnahmeprüfungen werden bereits an einigen Universitäten aufgeweicht, um genügend zahlende Studenten zu finden. Hinzu kommt auch noch der internationale Wettbewerb. Gern wird dazu die von Reuters erhobene Rangliste der Asia Pacific’s Most Innovative Universities aufgeführt – unter den ersten Zehn befinden sich immerhin vier japanische Hochschulen. Dabei sollte man allerdings anmerken, dass die Liste nur die Regionen Ostasien und Ozeanien erfasst. Im weltweiten Ranking hingegen, zum Beispiel bei den QS World University Rankings, fängt die Fassade an zu bröckeln: Die im Reuters-Vergleich höchstplatzierte Tōdai liegt hier auf Platz 23. Die beste deutsche Hochschule findet sich zwar erst auf Rang 61, vergleicht man aber Japan mit Deutschland im Gesamtranking, fällt schnell auf, dass die Deutschen Universitäten sehr viel dichter beieinander liegen als dies bei den Japanischen der Fall ist. Während unter den Top 500 Hochschulen weltweit 29 aus Deutschland kommen, sind es aus Japan nur 17. Diese Zahlen scheinen so schließlich mein eher anekdotisches Bild von japanischen Universitäten zu bestätigen.
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