„Japaner lächeln immer“ – dieses Vorurteil ist weithin bekannt – und schnell widerlegt. Man braucht einfach nur in einen japanischen Vorortzug oder eine U-Bahn am Morgen zu steigen.
Japaner lächeln nicht in S- und U-Bahn. Sie stehen einfach nur da, zur Rush Hour zusammengepresst wie in einer Sardinendose, und geben sich Mühe, keine Regung nach außen dringen zu lassen. Die gezeigte Disziplin und Teilnahmslosigkeit sind auffällig – und so überrascht es nicht, dass zum Beispiel eine Vandalismus-Aktion wie das Besprühen eines Zuges es sogar in die Hauptnachrichten schafft.
Man zerstört nicht mutwillig das Eigentum anderer Leute. Man zeigt keine Gefühlsregung. Zumindest nicht, wenn man allein ist, denn Grüppchen von Rentnern, betrunkenen Geschäftsleuten und dergleichen vergessen auch in Japan gerne die Rücksicht auf ihre Umgebung.
Die Tatsache, dass man im Berufsverkehr extrem dicht aneinandergedrängt ist, gefällt Japanern natürlich auch nicht – schließlich scheut man Körperkontakt eher, erst recht mit Fremden. Das Ganze wird mit dem berühmten Shō ga naiしょうがない („Da kann man nichts machen“) abgetan. Es ist nun mal so, da muss man eben durch.
Und wenn etwas in japanischen Zügen positiv auffällt, dann sind das saubere Sitze und Scheiben, ruhige Fahrgäste und das grundsätzliche Fehlen von Gemecker. Das ewige Meckern zum Beispiel in deutschen Zügen ist für viele Heimkehrer aus Japan in der Folge nur noch schwer zu ertragen.
Kein netter Zug: Auch in Japan ist Empathie nicht garantiert
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Wer genau hinschaut, merkt, dass es zwar leise, aber ziemlich rücksichtslos zugeht im Berufsverkehr. Zwar gibt es in allen Zügen reservierte Plätze für gebrechliche Menschen, doch dort fläzen oft junge Männer im Anzug, aber auch junge Frauen, die nach dem Ergattern nur eine Aufgabe zu haben scheinen: Möglichst unauffällig zu ignorieren, dass in der Nähe jemand sein könnte, der tatsächlich auf den Platz angewiesen ist.
Hochschwanger? Egal. Baby vor dem Bauch im schüttelnden Zug? Haben wir nicht gesehen. Und kippt jemand mal um, machen alle möglichst viel Platz und bemühen sich, nicht hinzuschauen oder anderweitig den Eindruck zu erwecken, in eine Helferrolle zu schlüpfen.
Zug in der Großstadt, Zug auf dem Land: Gemütlich VS. gehetzt
Doch es gibt starke regionale Unterschiede. Fährt man mit Bummelzügen durch die japanische Provinz, geht es meistens wesentlich freundlicher und weniger hektisch zu. Der Bevölkerungsschwund auf dem Land führt allerdings leider dazu, dass immer mehr Bahnlinien verschwinden.
Aber auch in den einzelnen Städten kann man Unterschiede festmachen. Während man sich zum Beispiel in der Kantō-Region (das Gebiet rund um Tōkyō) im Großen und Ganzen an das Telefonier-Verbot im Zug hält, ist dieses Verbot auffällig vielen Menschen in der Kansai-Region (Gegend um Ōsaka) reichlich egal. Und wenn man mal jemanden in Tōkyō im Zug telefonieren sieht (und vor allem hört), dann erkennt man am markanten Kansai-Dialekt, woher der Wind weht.
Rush Hour in Japan: Die Meister der Effektivität
Die ganz mutigen Japanbesucher wagen sich mitunter auch in die Rush Hour der Hauptstadt, um einen authentischen Blick auf den Alltag zu werfen. Da kann man schnell lernen, welche Strategien die Pendler anwenden, um möglichst effektiv durch das Gedränge zu kommen.
Die Wahl des richtigen Waggons und der richtigen Tür sowie die Positionierung nahe der Tür spielen da eine zentrale Rolle – logistisch kein Problem, schließlich halten japanische Züge zentimetergenau an fest definierten Punkten des Bahnsteigs.
Aber Vorsicht ist geboten: Auch in Japan gibt es durchaus Menschen, meist ältere Männer, die „ausrasten“ und Streit suchen, wenn sie der Meinung sind, angestoßen worden zu sein (mangels Sprachkenntnissen werden Ausländer jedoch in der Regel in Ruhe gelassen). Noch unangenehmer sind die Betrunkenen kurz vor Mitternacht, denen man aufgrund der Enge nicht gut ausweichen kann.
Alles in allem geht es im japanischen Bahnnetz meistens jedoch vergleichsweise gesittet zu – und dankbarerweise sehr pünktlich.
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