Andere Länder können davon oft nur träumen: Kriminalität spielt in Japan eine untergeordnete Rolle, blickt man zumindest auf schwere Delikte wie Morde, Raubüberfälle oder Vergewaltigungen. Doch auch in Japan ist nicht alles so friedlich, wie man auf den ersten Blick glauben mag. Anstelle von vermummten Dieben oder brutalen Schlägern, gehen der Polizei immer öfter alte Omis ins Netz. Die Zahl der älteren Japaner, die in Straftaten verwickelt sind, steigt seit rund 20 Jahren kontinuierlich an, sodass die staatliche Kriminalstatistik inzwischen ein eigenes Kapital zur Alterskriminalität hat.
Die Statistik zeigt: 2016 wurden in absoluten Zahlen in der Altersgruppe der über 65-Jährigen die meisten Straftaten überhaupt begangen. In den zurückliegenden zehn Jahren stiegen die Fallzahlen hier sage und schreibe um den Faktor 3,7. Setzt man diese Zahl in Relation zur Altersstruktur der Gesellschaft, so liegt der Anteil der straffällig gewordenen Menschen über 65 jedoch immer noch unter dem anderer Altersgruppen. Auffällig dabei ist jedoch: Die Älteren sind selten Mörder oder Schwerverbrecher. 2016 machen Diebstähle und vor allem Ladendiebstähle insgesamt 51 Prozent aller Straftaten in Japan aus. Bei den Über-65-Jährigen sind 57,3 Prozent der Straftaten solche Eigentumsdelikte. Dabei sind ältere Frauen häufiger Langfinger als gleichaltrige Männer: 80 Prozent der Straftaten der Frauen über 65 sind Ladendiebstähle (manbiki 万引き). Bei den Männern sind es 46 Prozent. Die Motive der Diebe: Männer geben an zu stehlen, weil sie einen leeren Magen haben; Frauen um den Stress zu mindern oder weil sie sich nicht wohlfühlen. Zwar machen Eigentumsdelikte die überwiegende Mehrzahl der Straftaten der Älteren aus, doch auch Mord, Totschlag oder Körperverletzung nehmen weiter zu, wenn auch nicht so deutlich.
Bei einem Großteil der Straftaten der Generation 65 plus werden Strafzahlungen oder Bewährungsstrafen verhängt, aber immer mehr Ältere landen nach Wiederholungstaten auch hinter Gittern. Sitzt die Hälfte der Frauen – meist wegen Diebstahls – nur einmal im Gefängnis, so gibt es bei der anderen Hälfte einen Drehtüreffekt: Oft haben sie keinen Ort zum Leben, können sich nicht reintegrieren, wenn sie aus dem Gefängnis kommen, und begehen dann aus Verzweiflung recht schnell wieder Straftaten: ein Teufelskreis. So leben immer mehr alte Menschen hinter Gittern, weil sie mit Absicht straffällig geworden sind. Es gibt Studien, die den Grund für die gestiegene Alterskriminalität verorten: Es ist nicht so sehr die Verwahrlosung der Sitten, die den Anstieg anschiebt, sondern eher der wirtschaftliche Fakt, dass viele Ältere allein leben und mit ihrer Rente nicht auskommen.
Sie werden zudem nicht mehr in demselben Maße wie früher von familiären oder nachbarschaftlichen Strukturen aufgefangen. Neben der finanziellen Not, quält sie die Vereinsamung. Laut einer TV-Dokumentation ist es vor allem die gesellschaftliche Isolierung der Alten, die diese dazu antreibt, straffällig zu werden. Viele spüren auch, dass ihre Kräfte nachlassen oder müssen sich daran gewöhnen, nicht mehr zu arbeiten. So gaben manche der Befragten an, sie fühlten sich schlecht oder waren verzweifelt. Oftmals begeht eine beachtliche Zahl der Wiederholungstäter dieselbe Straftat mehrmals. Meist so lange, bis sie im Gefängnis landen. Ihre Motivation: Hinter Gittern erhalten sie neben einer kostenlosen Unterkunft und Essen auch eine Gesundheitsversorgung.
Kommentare