Auf dem Rasen gibt Kagawa Shinji eine dynamische Figur ab – schon viele Male habe ich ihn aus den Zuschauerrängen bewundert. Doch in lässiger Alltagskleidung steht der 29-Jährige keineswegs wie ein unschuldiger Fußball-Jüngling, sondern wie ein erwachsener Gentleman vor mir. Zwar habe er sich an das ständige Fotografiertwerden gewöhnt, aber besonders gut wäre er dennoch nicht darin, sagt Kagawa. Allein diese besonnen gesprochenen Worte zeugen von Stärke! (Bitte entschuldigen Sie diesen Gefühlsausbruch.)
Jeder Spielzug mit dem gleichen Gefühl
Kagawa Shinji versteht es, die Augen der Welt auf sich zu ziehen. Mit Millionen von Fans auf Facebook, Instagram und Twitter nimmt er großen Einfluss auf die Welt. Wie geht Kagawa mit den öffentlichen Erwartungen anderer an ihn um?
Darüber denke ich kaum nach. Meist wird ohnehin von „enttäuschten Erwartungen“ gesprochen, denn jeder Mensch erhofft sich etwas anderes. Trotzdem finde ich es toll, Unterstützung von den Fans und auch den Medien zu erhalten, das feuert mich beim Spielen an.
Geboren 1989 in Kōbe, ist Kagawa seit dem zarten Alter von vier Jahren Fußball-Enthusiast. Vom lokalen Fußball-Jugendclub wechselte er mit zwölf Jahren zum FC Miyagi Barcelona in Sendai, Miyagi. Von dort schaffte er 2006 mit 16 Jahren den Sprung in die japanische Profiliga und spielte mit Cerezo Osaka in der J League. Noch vor dem Schulabschluss sicherte er sich einen Vertrag in der Profiliga. Trotzdem behauptet Kagawa von sich selbst, kein Kind mit außergewöhnlichen Talenten gewesen zu sein.
Ich versuche, keine besonderen Erwartungen an mich selbst zu stellen, denn ich habe jeden Tag ein anderes Ziel. Was muss ich an diesem Tag erledigen, was muss ich in jenem Spiel erreichen, wie kann ich meine Stärken weiter ausbauen – mit diesen Gedanken setze ich mich Tag für Tag auseinander.
Wie in jeder Sportart passieren auch im Fußball immer wieder Fehler. Daher begegne ich jedem Spielzug mit dem gleichen Gefühl und lasse mich nicht von Misserfolgen runterziehen. Das Blatt kann sich bis zur letzten Minute wenden. In allen möglichen Situationen angemessen zu reagieren, darauf bereite ich mich vor.
Für eine Ablöse von 350.000 Euro wechselte Kagawa 2010 von Cerezo Osaka zum BVB. Unter Trainer Jürgen Klopp wurde er mit dem BVB zwei Mal in Folge deutscher Meister, 2011 folgte der DFB-Pokal. 2012 wechselte Kagawa für eine spekulierte Ablöse von 15 Millionen Euro in die englische Premier League zu Manchester United. Danach steckten die deutschen Teams mehr Bemühungen in den Transfer von japanischen Spielern in die Bundesliga.
Während seiner Zeit in England durchfegte das „Kagawa-Fieber“ Deutschland: „Kagawa Shinji, wie sehr du geliebt wirst“ war zu hören. Erst nach dem Wechsel schien Deutschland zu verstehen, was es überhaupt an Kagawa hatte. Jürgen Klopp und BVB-Sportdirektor Michael Zorc setzten sich für Kagawas Rückkehr ein und nach einer Welle des Zuspruchs hatte Deutschland Kagawa 2014 wieder. 2017 wurde bekannt, dass er seinen Vertrag bis 2020 verlängert hat. So geht die Geschichte zwischen Kagawa Shinji und dem BVB weiter.
Die Bedeutung von Misserfolgen
Mit 19 Jahren wurde Kagawa zum ersten Mal in die japanische Nationalelf einberufen, er hat schon viel in seinem Leben erlebt. Aber auch negative Erfahrungen sehe er nicht als Rückschläge, so Kagawa. Wie ordnet er seine Gefühle?
Nichts ist leichter, als von einem Rückschlag oder einem Misserfolg zu sprechen. Doch genau wie die positiven prägen auch die negativen Erlebnisse meinen Erfahrungsschatz und machen mich zu dem, der ich heute bin. Jede Erfahrung trägt eine Bedeutung, man muss nur wissen, aus ihr zu lernen. Ich lasse mich nicht entmutigen, sondern versuche, Lösungen zu finden. Jedenfalls möchte ich niemals aufgeben.
Fußballumfeld Deutschland
Trotz dieser besonnenen Gedanken ist Kagawa auch ein Mann des Dramas. Der Schauplatz: Das Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem Erzrivalen Schalke 04. Im Spiel gegen Schalke am 19. September 2010 schoss Kagawa zwei Tore – und eroberte als Derby-Held die Herzen der BVB-Fans im Sturm. Er selbst bezeichnet diese Begegnung als „einen Kampf, der mein Leben veränderte.“
In Europa Fußball zu spielen erfüllt mir einen Lebenstraum. Klar ist es toll, an einem Ort zu leben, den man kennt, wo man mit dem Essen und der Sprache zurechtkommt. Aber die Ambitionen eines Fußballspielers liegen woanders. In Europa, der Wiege des Fußballs, zu spielen, das fühlt sich einfach anders an als in Japan.
Davon abgesehen ist man als japanischer Spieler in einem europäischen Team mehr auf sich selbst gestellt. Jeden Tag arbeite ich an mir und schon der kleinste Fortschritt macht mich glücklich, die Mühe lohnt sich. Hier ist genau die richtige Umgebung, um als Fußballspieler zu wachsen.
Als ich nach Europa kam, merkte ich sofort, wie stark Fußball in der Kultur und im Alltag verankert ist. Am Wochenende strömen die Leute im Trikot in die Stadien um die Mannschaften zu unterstützen, mit denen sie aufgewachsen sind. Diese Fankultur wird von Generation zu Generation weitergegeben. Ich wünschte, in Japan hätte Fußball auch so eine Wirkung. Aber dafür ist die Profiliga mit ihrem halben Jahrhundert Geschichte noch zu jung. Ich bin mir allerdings sicher, dass mit aktiven Bemühungen der Spieler der japanische Fußball sich auch global weiterentwickeln wird.
Die Glückseligkeit eines Fußballspielers
Die „Gelbe Wand“ der Dortmunder Südtribüne gilt als einer der Gründe, warum Kagawa zum BVB gewechselt ist. Seine Augen leuchten, als er von seiner ersten Begegnung mit der Gelben Wand erzählt.
Es war einfach überwältigend. Und das nicht nur das erste Mal, sondern immer wieder aufs Neue. Diese Atmosphäre beim Spiel zu fühlen, die Leidenschaft und Unterstützung der Fans – nur dadurch werden wunderbare Spiele möglich. Vor der Gelben Wand stehend merke ich, dass die Fans wirklich ein Teil des Teams sind.
Seit der BVB 1909 gegründet wurde, ist der Verein acht Mal deutscher Meister und vier Mal Pokalsieger geworden – Kagawa war an zwei Bundesliga- und zwei Pokalsiegen beteiligt.
Der Pokalsieg 2017 war der erste seit langem – ein unbeschreibliches Gefühl. 2011/12, als wir das zweite Jahr in Folge deutscher Meister und auch Pokalsieger wurden, waren wir noch jung, es war keine besondere Anstrengung. Aber inzwischen habe ich gemerkt, wie schwer es ist, kontinuierlich zu gewinnen. Erst jetzt weiß ich diese Siege richtig zu schätzen. Klar, ich bin immernoch aktiv, also möchte ich nicht zu tief in diese alte Geschichte eintauchen. (Lacht)
Ohne zu tief einzutauchen, abschließend ein paar Worte zu besagter Saison 2011/12:
„Die Titelstory des BVB wäre nicht komplett ohne Shinji Kagawa.“
– Carsten Germann (50 JAHRE BUNDESLIGA 1963-2013)
Flugs war das Interview vorbei und was ich Kagawa Shinji vor Ort nicht mehr sagen konnte, will ich hier nachholen: Ein herzliches Dankeschön! Ich selbst habe schon gemeinsam mit BVB-Fans fröhlich Kagawas Hymne gesungen. Wir legen Kagawa unsere Fußball-Träume in die Hände – denn er bringt sie zum Leuchten.
Den Charme Japans weltweit verbreiten: Japan-Botschafter Kagawas 3 Empfehlungen in Ōsaka
Das Essen!
Die Spezialitäten Ōsakas sind wirklich empfehlenswert. In Ōsaka gibt es zwei große Handels- und Einkaufsgegenden: Umeda und Shinsaibashi. Die beiden liegen nicht weit auseinander, Sie gelangen ganz bequem von einer zur nächsten. Wenn Sie dort flanieren, müssen Sie unbedingt Takoyaki und Okonomiyaki probieren!
Der Fußball!
Klar, als Fußballer ist mir natürlich wichtig, weltweit auch die J League bekannt zu machen. In Ōsaka gibt es zwei Profi-Mannschaften: Cerezo Osaka, bei der ich spielte, und Gamba Osaka. Die Fans fiebern auch dort richtig mit, ich kann also sehr empfehlen, ein J League-Spiel zu besuchen.
Die Leute!
In der Kansai-Region um Ōsaka gelten die Menschen als sehr offen und freundlich. Es gibt dort viele Leute, die gerne plaudern; daher ist es leicht, Menschen kennenzulernen und Neues mit ihnen zu erleben. Selbst wenn die Kommunikation trivial bleibt, in Ōsaka ist es einfach spannend.
Dieser Text wurde von Megumi Takahashi für die April-Ausgabe des JAPANDIGEST verfasst und von Sina Arauner aus dem Japanischen übersetzt und für die Veröffentlichung im Printmagazin und auf der Webseite nachbearbeitet. Eine Übersicht über weitere Artikel finden Sie hier:
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